Interview: SETYØURSAILS - Jules Mitch

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Wir wollen Musik spielen/hören, wir wollen feiern, und es ist total schön, wenn man das positive Feedback von den Leuten bekommt.

Im Zuge der Konzertberichterstattung vom Tour-Auftakt des Dreigestirns SETYØURSAILS, RISING INSANE und VINTA in Leipzig, hatte Stormbringer die Möglichkeit, mit Jules Mitch, der Frontfrau von SETYØURSAILS ausführlich zu plaudern.

Veröffentlicht am 17.04.2024

Der Abend des 12. Aprils 2024 ist angebrochen, wir befinden uns in Naumanns Gaststube unter dem Tanzlokal im Felsenkeller Leipzig. An der Seite des STB-Berichterstattungsduos Siddal/Lustig sitzt Sängerin und Hauptsongwriterin Jules Mitch von SETYØURSAILS.

Schön, dass es mit unserem Treffen vor dem Konzert geklappt hat. Die heutige Show ist gleich in zweierlei Hinsicht besonders. Zum einen handelt es sich um den Start der Co-Headliner-Tour mit RISING INSANE und dem Support VINTA, zum anderen ist heute auch der Album-Release-Day für „Bad Blood“. Daher die erste Frage, bist du schon ein bisschen aufgeregt, im Hinblick auf den Gig?

Jein. Also ich bin tatsächlich sehr, sehr entspannt, also generell und man kriegt einfach ein bisschen Routine rein, wenn man die hundertste Show spielt, ist man tatsächlich nicht mehr sooo aufgeregt, aber man macht sich natürlich so ein bisschen Sorgen, ob alles klargeht, ob die Technik mitspielt und so weiter und so fort. Aber ansonsten haben wir einfach mega Bock. Wir sind froh, dass die Platte jetzt draußen ist und wir auf Tour gehen können. Es ist also eher ein freudiges Sein als ein aufgeregt Sein.

Und schön, dass ihr direkt im wilden Osten anfangt.

Ja, wir haben schon so geile Gigs hier gespielt, auch in Dresden im Blauen Salon mit GHOSTKID und die Stimmung war immer richtig gut.

Ich hatte die Ehre, beim letztjährigen Summer Breeze bei eurem großartigen Auftritt dabei zu sein und das komplette Konzert für Stormbringer fotografisch festzuhalten. Die Show war eins meiner persönlichen Highlights des gesamten Festivals, sowohl musikalisch als auch visuell. Nun geht ihr als Co-Headliner in die nächsten Live-Wochen. Könnt ihr ein wenig davon erzählen, was die Fans auf der aktuellen Tour erwarten dürfen? Habt ihr da etwas Besonderes geplant?

Ja, voll! Wir haben uns total Gedanken gemacht. Wir haben jetzt ein doppelt langes Set, weil wenn man Support ist, dann hat man in der Regel 30 Minuten. Und jetzt haben wir eine Stunde und sogar ein bisschen was drüber. Wir spielen u.a. spezielle Versionen von Songs, wir haben einen Track komplett als Akustikversion, was wir zum ersten Mal machen. Es wird ein Drum-Solo in der Show sein, wir haben ganz viel Showlights-Stuff und Produktion mit. Wir spielen fast das komplette neue Album, so ca. 80 Prozent davon und auch einiges von „Nightfall“. Das ist ein cooler Mix. Also, es gibt sehr viel Power, aber wir werden auch sehr schöne ruhige Momente zelebrieren, und das haben wir tatsächlich so noch nie gemacht.

Ihr habt die Pyros hier heute aber sicherlich nicht dabei? [Naumanns Tanzlokal ist ein Club mit einem Fassungsvermögen von max. 300 Gästen und einer Bühne mit der gefühlten Flächengröße eines Bettvorlegers. Anm. d. Verf.]

(Jules lacht) Wir wollten das tatsächlich gerne, wie auch auf den Festivals, wo Feuer generell mit am Start ist, aber das geht natürlich hier nicht. Dann haste am Ende der Show nur noch den Felsenkeller, aber nicht mehr das Naumanns! Also ja, die mussten wir heute leider zu Hause lassen. Aber wir haben ein sehr langes, intensives Set mitgebracht. Und es gibt noch weitere Überraschungen bei der ein oder anderen Show mit Special Guests und so weiter.

Was ich spannend in diesem Zusammenhang finde: Ist die Reihenfolge immer gleich oder wechseln sich die Headliner immer ab, denn ihr und RISING INSANE seid ja laut Tour-Titel gleichrangig.

Ja, die Headliner wechseln sich auf Tour immer ab. Für sechs Shows sind RISING INSANE die letzte Band des Abends und für sechs Shows SETYØURSAILS.

Betrachtet ihr den heutigen Abend auch als eine Art Album-Release-Party?

Schon, ja klar. Also heute ist Release Day und das bietet sich natürlich an, da will man schon ein bisschen Party machen und nach der Show auch ein Sektchen trinken (lacht).

Jules, du bist ja on stage extrem extrovertiert. Kannst du mal schildern, was da in dir vorgeht, wenn du die Bühne betrittst und die Musik des ersten Songs startet? Ändert sich bei einem Auftritt dein Ich im Vergleich zu deiner Persönlichkeit im Alltag?

Ja, würde ich schon sagen. Man wird da auf der Bühne natürlich ganz anders angereizt. Man hat da Bock drauf, als Musikerin, man hat die Lieder geschrieben, man will sie performen. Und wenn man dann das Intro zum ersten Mal hört, dann kriegt man Stimmung und einfach Bock drauf. Wie wenn man den Song von seiner Lieblingsband hört, dann geht direkt das Belohnungssystem im Kopf an, und man denkt JA! Und so ist das auch vor dem Auftritt. Man hört das Intro, man kriegt Bock und dann bis Du einfach on fire, das ist dann - auch wenn ich selber derartige Erfahrungen noch nicht gemacht habe - wahrscheinlich wie in einem Drogen-Rausch. Man ist gepusht, man hat total viel Energie. Ich brauche dann eine connection mit den Leuten. Ich will am liebsten, wie auf dem Summer Breeze, ganz bei den Leuten sein. Deswegen macht man das, damit man eine Verbindung zum Publikum hat. Wir sind ja alle, egal auf welcher Seite man steht, für die gleiche Sache da. Wir wollen Musik spielen/hören, wir wollen feiern, und es ist total schön, wenn man das positive Feedback von den Leuten bekommt.

Du hast es gerade schon angedeutet, ihr pflegt bei euren Shows ja eine große physische Fannähe. Nicolai stand bei eurem SBOA-Auftritt letztes Jahr bei einem Song mit seinem Bass mitten im Publikum, und du hast gegen Ende des Gigs die Absperrung geentert, warst hautnah an den Leuten und hast dutzende Hände geschüttelt. Was bedeutet diese intensive Interaktion mit den Fans für euch?

Alles! Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum man diesen ganzen Stress auf sich nimmt. Das Summer Breeze hat uns total überwältigt. Wir haben gar nicht damit gerechnet, dass es so viele Leute sind, voller ging es ja nicht für diese Bühne. Und dass so viele Menschen einfach auch mitgesungen haben. Da habe ich schon ein bisschen Pippi in die Augen gekriegt. Vor „Fuck Off“, dem letzten Song musste ich echt schlucken. Da habe ich Nicolai angeschaut, und es war so: „Pfuuuh, wooaah!“, weil derartig viele Leute auch die Texte kannten, und das habe ich gar nicht erwartet. Man sitzt zu Hause und schreibt die Songs, denkt gar nicht groß drüber nach, und dann kennen die Leute alle Lyrics auswendig!

Das ist krass, auch wenn ich jetzt hier zum Fenster rausschaue, da stehen die die ganzen Fans mit unseren Shirts, und ich frage mich ernsthaft: „Hä? Warum kennen die uns?“ Wisst ihr, das ist total weird irgendwie, aber natürlich auch schön. Um noch mal auf die Interkation mit dem Publikum vor der Bühne zurückzukommen, du siehst, die Leute haben wirklich Bock, sie sind richtig glücklich in dem Moment gemeinsam mit dir. Und sie vergessen dann auch für ein paar Minuten den ganzen Alltagsscheiß, ihre Sorgen, und das ist das geilste Gefühl! Wenn du da Menschen vor dir hast, die dein Bandshirt tragen und dich mit High Five abklatschen, während sie an dir vorbei stagediven. Also was Geileres kann ich mir nicht vorstellen. Das ist total crazy!

Wenn man sich eure Tourtermine so anschaut: eine Woche Freitag und Samstag, in der nächsten Woche Samstag und Sonntag etc., kann man davon ausgehen, dass ihr unter der Woche alle einem normalen Job nachgeht. Dann kommt jetzt mit den Interviews auch noch die Album-Promotion dazu. Unser Gespräch sollte ja eigentlich als Videoschalte am Montag nach 22.00 Uhr stattfinden. Wie bekommt ihr das alles unter einen Hut, Montag bis Donnerstag bzw. Freitag an der Arbeit und das gesamte Wochenende dann auf Tour über mehrere Wochen ohne freien Tag zum Relaxen? Da ist man doch irgendwann ziemlich ausgelaugt, oder?

Es ist schon schwierig. Das ist der Knackpunkt. Mir geht das ganz oft so. Ich habe einen sehr intensiven Job, ich arbeite mit schwererziehbaren Jugendlichen. Das ist natürlich zwischendrin auch mal richtig heftig. Es ist halt nicht so, dass du dich mal eben an deinen PC setzt und ein bisschen chillst. Es ist wirklich komplett Action, Drama mit vielen Problemen. Das ist echt schwer. Was einem natürlich hilft, ist ein stabiles Zuhause, das dir Rückhalt bietet. Und was ich mir angewöhnt habe, ist: Handy ausmachen! Niemandem mehr antworten nach 21.00 Uhr, und das auch straight durchzuziehen. Neun durch – einfach keinen Bock mehr!

Aber es ist auf der anderen Seite auch tricky. Denn du kannst die Band eigentlich nur voranbringen, wenn du 24/7 erreichbar bist. Und viele Sachen sind da auch nicht geplant. Du kriegst zum Beispiel um 23.00 Uhr vom Management noch etwas rein, oder vom Label. Eigentlich ist das selbst bei unserer Größe schon so etwas wie ein Vollzeitjob. Es ist schwierig, aber man macht es, weil man es ja irgendwie auch geil findet. Das treibt einen dann so an. Und normal arbeiten müssen wir halt alle, weil wir allein von der Band und der Musik nicht leben können. Es ist gerade im Moment ok, und es funktioniert – noch – würde ich sagen.

Euer Bekanntheitsgrad ist ja, seit ihr mit Napalm Records zusammenarbeitet, schon noch mal um einiges größer geworden. Denkst du manchmal über Situationen nach, in denen es auf euch zukommen wird, dass z.B. nur die Wochenenden zum Touren nicht mehr ausreichen?

Also wir haben tatsächlich so eine Situation schon gehabt. Wenn es über die derzeitigen Tourmodalitäten hinaus geht, dann müssen wir natürlich ziemlich basteln, mit unseren Arbeitgebern, mit unbezahltem Urlaub und Urlaub gemischt, das ist schon ein kompliziertes Hickhack, und an diesem Punkt sind wir in der Tat gerade. Dass es jetzt heißt, wir können auf andere Touren von größeren Bands mit, und das geht dann nicht nur eine Woche oder so. Andererseits ist DAS aber ja eigentlich genau der Punkt, worauf jede kleine Band hinarbeitet, um solche Chancen wahrnehmen zu können. Viele Bands zerbrechen allerdings auch genau an diesem Punkt. Weil dann doch der Job oder die Familie wichtiger sind oder alles zu viel wird. Aber, WIR machen das! Wir schauen, wie weit wir das irgendwie hinbekommen und deichseln das, denn das ist es, was wir wollen.

Auf den kommenden Konzerten werden natürlich jede Menge Songs des neuen Albums zu hören sein. Also lass uns ein bisschen über „Bad Blood“ plaudern. Die Scheibe ist, wenn man das in Eigenregie veröffentlichte Debüt mitzählt, euer dritter Longplayer. Und von der rohen, ungeschliffenen Attitüde von „Enough“ hin zu eurem jetzigen Stil habt ihr doch eine intensive Entwicklung durchlaufen. Wie kommen diese Veränderungen zustande? Ist das ein eher natürlicher Prozess, oder habt ihr ganz bewusst nach jedem Album gesagt, das machen wir in Zukunft anders?

Gar nicht. Null. Das war bis jetzt ein vollkommen natürlicher Prozess. „Enough“ ist ja eigentlich nur ein Demo, komplett unbearbeitet, das wir eigentlich auch nirgendwo jemals erwähnen (lacht). Wir haben „Enough“ gemacht, damit wir live spielen konnten. Es hat uns dabei geholfen, 2019 beim Reload-Festival-Band-Contest teilnehmen zu können, den wir dann auch gewonnen haben. Und dadurch haben wir im Anschluss das Management und das Label gefunden und auch ordentlich Schub bekommen. Es war die Basis für das, was wir heute sind.

„Nightfall“ haben André und ich ganz bewusst so geschrieben, wie es ist, weil wir jede Menge Stoff im Kopf hatten, den wir umsetzen wollten. Und das Album ist tatsächlich vor dem Plattenvertrag entstanden. Die Scheibe war komplett fertig, und damit haben wir uns dann bei verschiedenen Plattenfirmen beworben, am Ende ist es Napalm geworden.

Bei „Bad Blood“ war es dann so, dass ich das Album mit unserem Produzenten innerhalb von drei Monaten geschrieben habe. Sehr straight, sehr schnell, weil wir natürlich auch einen Abgabetermin beim Label hatten. Und ich habe diesmal wirklich komplett aus dem Bauch heraus geschrieben. Ich habe nichts ausgetauscht, ich habe über nichts lange nachgedacht. Bei „Nightfall“ hatte ich alles fast totgedacht, tausend Chorusse ausgetauscht. Und diesmal war es so, dass Songs wie „Halo“ oder „T.F.M.F.“ an nur einem Tag entstanden sind. Das das ist der Unterschied zum Vorgänger. „Bad Blood“ ist einfach intuitiv. Und das ist, finde ich, eine absolut natürliche Entwicklung. Es kommt halt auch immer auf die Konstellation an. Zum Beispiel gefallen mir andere Refrains als André, der bei „Nightfall“ viele Instrumentals gemacht hat. Und da diesmal (neben Julian Breucker) ich das Songwriting übernommen habe, sind die Chorusse jetzt ziemlich poppig geworden, weil ich das halt einfach sehr mag und in diesem Stil auch total gern schreibe. Und je nach dem, wen wir beim nächsten Album als Writer mit dabei haben, wird es wieder anders sein.

Meiner Meinung nach hast du dich bei deiner Gesangsleistung im Vergleich zum Vorgänger „Nightfall“ noch mal deutlich gesteigert. Diese Mischung aus Shouting, Growling, Schreien, Kreischen und Klargesang ist ja sicher ziemlich anstrengend. Trainierst du deine Stimme auf eine spezielle Art und Weise?

Ja. Seit ich so eine Long-Covid-Geschichte hatte und meine Stimme sechs Monate lang komplett weg war, weil Lunge, Kehlkopf und Stimmbänder sehr stark angegriffen gewesen sind. Und es war dann so, dass wenn ich einen Ton gesungen habe, der richtig weggebrochen ist, die Stimme halt immer wieder ganz ausgesetzt hat. Seitdem bin ich in Stimm-Therapie und beim Vocal-Coaching. Ich habe aber tatsächlich in diesen sechs Monaten in Bezug auf den Gesang wirklich nichts gemacht, von November bis jetzt kurz vor der Tour, weil es einfach nicht ging. Aber ich habe mich viel intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt und bin so allmählich wieder reingekommen. Wenn du viel tourst, dann trainiert das die Stimme automatisch. Bei neuen Songs ist es natürlich anstrengener, weil die logischerweise noch nicht so in den Muskel-Memories drin sind.

Das heißt, wenn du ein Lied singst, dann trainieren sich diese Muskeln sozusagen mit einem Gedächtnis auf diesen Song?

Ja genau. So funktioniert das. Und so was macht man zum Beispiel beim Vocal Coaching, dass man es so trainiert, dass man in bstimmten Phasen bestimmte Muskelgruppen anspannt oder auch an den richtigen Stellen atmet. Und das merkt sich der Körper dann. Denn es geht ja auch darum, darauf zu aufzupassen, dass man die Stimmbänder nicht überstrapaziert und kaputt macht. Darauf achte ich auch regelmäßig und lasse das von der HNO-Ärztin mit dem Endoskop und so immer wieder checken.

Das ist also wie beim Radfahren oder Schwimmen lernen?

Genau. Und irgendwann macht dein Körper das von selbst richtig, es ist für ihn normal, und er spannt zum Beispiel im richtigen Moment die richtigen Muskeln an. Da hängen ja total viel Muskelgruppen mit drin, das ist eine äußerst komplexe Sache. Und seit ich das mit der Stimmtherapie und dem Vocal-Coaching mache, geht es mir auch viel besser, ich habe mehr Kondition, und der Kopf ist auch nicht mehr so belastet. Weil man weiß, wenn man es richtig macht, dann geht nichts kaputt.

Hat dieses Training auch Auswirkungen auf das Sprechen?

Ja, voll. Darauf habe ich mich tatsächlich als erstes konzentriert, weil ich anfangs auch Aussetzer beim Sprechen hatte, nach der Infektion. Es ist total spannend, wo was beim Sprechen herkommt, aus welchem Resonanzkörper. Manche Leute reden ja eher so nasal. Andere sprechen ganz leise, die nutzen gar keinen Resonanzkörper. Und wieder andere verwenden alles, was sie zur Verfügung haben. Mir ist es an mir selbst halt auch aufgefallen, dass alles durch das Training viel deutlicher geworden ist. Ich weiß gar nicht, wie ich es am besten beschreiben soll. Man spürt Vibrationen, die einem früher überhaupt nicht aufgefallen sind, es ist echt sehr interessant, sich damit zu beschäftigen.

Jules, du bist auch für die Texte verantwortlich. Wenn man sich die Lyrics von „Bad Blood“ durchliest, wird schnell klar, dass es sich dabei nicht um irgendwelche 0815-Phrasen handelt. Handelt es sich bei deinen Texten um autobiografische Erlebnisse, oder greifst du eher Themen aus deiner alltäglichen Umgebung auf?

Nein, die Texte handeln nur von mir selber. Ich sage immer, die Lyrics sind fast wie ein Tagebuch, weil ich das Texteschreiben als Ventil nehme, um gewisse Sachen zu verarbeiten. Deswegen ist es auch immer und zu hundert Prozent genau das, was ich in dem Moment gefühlt habe. Das ist meine Intention beim Schreiben.

Wenn du über eigene Erlebnisse singst, speziell auch live, wie ist das für dich, diese ja doch sehr persönlichen Erfahrungen mit einer Vielzahl fremder Menschen zu teilen?

Es ist schön! Ich hatte erst sehr viel Schiss davor, ehrlich gesagt, aber da die Leute nach JEDER Show immer zu mir zum Merch-Stand kommen und sagen: „Ey dieser oder jener Song, ich fühle das total, weil ich das Gleiche erlebt habe“. Und die können das eins zu eins nachempfinden, das macht das Ganze dann noch schöner. Denn rumschreien und laut und stark und taff sein auf der Bühne, das ist voll easy, das kann man einfach machen. Aber so intime Sachen zuzulassen und auch ein bisschen Verletzlichkeit zu zeigen, das ist übel schwer. Aber man kriegt das halt wieder zurück und gedankt. Denn die Leute wissen das zu schätzen, weil es nicht so leicht ist, zu sagen: „Hey ich bin auch zart und verletzlich“.

Ihr setzt immer wieder klare Statements gegen jede Art von Hass, Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus? Habt ihr selbst negative Erfahrungen im Hinblick auf derartige Probleme gemacht? Oder ist euch das einfach ein Anliegen, weil diese Punkte in der heutigen Zeit immer wieder angesprochen werden müssen?

So ein Mix aus beidem, finde ich. Weil – das klingt jetzt vielleicht komisch oder auch nicht – es ist wohl jede Frau schon mal an dem Punkt gewesen, an dem sie mit sowas konfrontiert wurde, vielleicht aber auch als Mann. Die von dir genannten Punkte wie Hass und Sexismus beziehen sich ja nicht ausschließlich auf den Umgang mit Frauen. Und welcher normale Mensch findet solche Anfeindungen geil? Ich meine, ich raffe das nicht, warum sollte man jemanden hassen, nur weil er anders ist als man selbst? Das ist mir doch scheißegal, wie jemand drauf ist. Solange er mir nichts tut und mich in Ruhe lässt, kann er doch sein, wie er will.

Wir können das auch als Band einfach nicht begreifen, dass Menschen Leute hassen, weil sie eine andere Hautfarbe haben, oder eine andere geschlechtliche Orientierung oder was weiß ich?! Das juckt mich doch nicht. Ich meine, wenn du ein cooler Mensch bist, dann mag ich dich, und wenn du ein Scheiß-Mensch bist, finde ich dich halt Scheiße. Und ich denke, es ist ungeheuer wichtig, dass JEDER die Klappe aufmacht, wenn er feststellt, dass da irgendein Scheiß abläuft, ob nun auf menschlicher Ebene oder auch gesinnungstechnisch und politisch.

Wir sind ganz klar gegen rechts. Und gegen den massiven Rechtsruck, der derzeit in Deutschland stattfindet, muss man sich einfach positionieren. Die Normalen, die intelligenten Leute, die ohne Vorurteile ihr Leben leben, müssen da einfach die Fresse aufkriegen und sagen: „Wir finden das nicht geil, was ihr da abzieht, und ihr seid längst nicht so viele, wie ihr vielleicht glaubt! Wir alle sind nicht für euere Ideologie, wir wollen das nicht!“. Und deswegen schwingen wir die Fahne auf unseren Konzerten und haben die entsprechenden Songs dabei. Eigentlich sollte der gesunde Menschenverstand den Leuten ja von selbst sagen, was richtig ist und was nicht. Aber wenn das nicht von allein funktioniert, müssen wir da halt etwas nachhelfen.

Eine letzte Frage, hat das nordische „Ø“ in eurem Bandnamen eine spezielle Bedeutung?

Nein! (lacht) Ich weiß auch gar nicht mehr, wo der Name eigentlich herkommt. Es sieht einfach cool aus! (lacht noch mehr) [Es folgt ein kompetenter Schnell-Exkurs durch Informatik-Lehrerin Jules zum Thema: Wie finden geplagte Schreiberlinge das nordische „Ø“ am unkompliziertesten auf dem Handy und per Tasten-Kombination auf der PC-Tastatur. Anm. d. Verf.]

Damit sind wir auch schon am Ende unserer kleinen Plauderei angekommen. Vielen Dank für deine ausführlichen und interessanten Antworten. Jetzt bleibt uns nur noch, dir und der Band ganz fest die Daumen zu drücken, dass der Tourauftakt nachher ein voller Erfolg wird. Wir wünschen euch ein cooles, euphorisches Publikum und freuen mich auf einen tollen Konzertabend und auf viele gelungene Schnappschüsse!

Ja, super! Ich danke euch!


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