Interview: Redemption - Nicolas van Dyk

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Ich möchte mich nie zu einem neuen Album „zwingen“ – ich schreibe definitiv nur, wenn ich mich inspiriert fühle.

Nick van Dyk hat nicht nur den Blutkrebs besiegt, sondern ganz nebenbei auch noch das fünfte REDEMPTION Album "This Mortal Coil" veröffentlicht.

Text: Stoffi
Veröffentlicht am 13.12.2011

Hallo Nick! Danke, dass du dir für uns Zeit genommen hast. Gleich zu Beginn: Wie geht’s dir?

Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Seit zwei Jahren ist der Krebs vollständig zurückgebildet und ich nehme drei potente Medikamente, damit das auch so bleibt. Wenn ich es ein weiteres Jahr in diesem Zustand schaffe, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich komplett geheilt bin und mit den Medikamenten aufhören kann. Also drückt mir die Daumen – ein bisschen noch, aber die Chancen stehen sehr zu meinen Gunsten.

Gratulation zu „This Mortal Coil“. Es ist großartig geworden. Wie zufrieden bist du mit dem Ergebnis?

Ich glaube es war Geddy Lee (RUSH), der gesagt hat, dass du nie mit einer CD fertig bist, du hast nur keinen Einfluss mehr drauf. So ist es sicherlich auch in diesem Fall. Sowohl Neil (Kernon – Produzent) als auch ich hätten töten können für eine Woche mehr Zeit. Gerade als Perfektionist wird es einige Zeit dauern, bis ich mir das Album anhören kann, ohne dabei ständig nur an jene Dinge zu denken, die ich ändern würde – ein Pegel hier, ein Effekt da, solche Sachen.
Ich muss aber gestehen, ich bin ein wenig überrascht über die Reaktionen auf die Produktion der Platte, da die Meinungen diesmal sehr geteilt sind. Das ist das erste Mal im Laufe der letzten vier Alben inklusive der Live CD/DVD, wo das ein Thema für uns ist.

Verglichen mit euren früheren Veröffentlichungen: Gibt es eine natürliche Entwicklung in eurem Sound, oder veränderst du manche Dinge ganz bewusst?

Wir haben immer schon versucht, heavy, aggressive, rifforientierte Musik mit starken Melodien zu kombinieren. Ich würde sagen, die letzten vier Alben waren eine konstante Weiterentwicklung genau dieses Stils. Auf „This Mortal Coil“ sind die härtesten Gitarrensounds, die wir je verwendet haben, so haben wir diesen Gegensatz, denke ich, soweit wie möglich ausgereizt. Die Melodien sind äußerst überzeugend, wir verwenden mehr Harmonien denn je in den Refrains und dennoch ist die Gitarrenarbeit oft relativ brutal. Das erzeugt eine interessante Mischung.

Ungefähr zu der Zeit, als „Snowfall On Judgement Day“ veröffentlicht wurde, habe ich erfahren, dass du an Blutkrebs erkrankt bist. Was ist vom Zeitpunkt der Diagnose bis zu deiner Heilung alles passiert?

Ich könnte wahrscheinlich dein gesamtes Magazin ausfüllen, würde ich dir die vollständige Antwort geben. Kurz gefasst, habe ich einiges an Recherche betrieben, mit den besten Medizinern der Vereinigten Staaten gesprochen, habe meine Behandlungsmöglichkeiten, das zu erwartende Outcome und den Zugang jedes dieser Ärzte evaluiert. Ich habe im Streben nach einer Heilung die aggressivste Therapie gewählt, habe mich einer extrem intensiven Behandlung unterzogen und letztendlich komplette Remission (ein dauerhaftes Nachlassen der Krankheitssymptome) erreicht.
Ich lebe nun seit zwei Jahren in kompletter Remission und werde mit drei starken Medikamenten behandelt, um diesen Zustand zu erhalten. Wenn das noch ein weiteres Jahr so bleibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit äußerst hoch (über 95%), dass ich als vollständig geheilt gelte. Obwohl die Therapie natürlich einige Nebenwirkungen hat, habe ich mich darauf eingestellt und behalte mein Ziel in die Augen.

Seit eurem ersten Longplayer 2003, habt ihr regelmäßig alle zwei Jahre ein neues REDEMPTION-Album veröffentlicht. Wie kannst du da Schritt halten, vor allem während du so intensive Therapien über dich ergehen lassen muss?

Das ist gar nicht einfach, vor allem da mein „Day-Job“ sehr fordernd ist, ich arbeite immerhin 60 und mehr Stunden pro Woche. Ich genieße es Musik zu schreiben und mit dieser Band aufzunehmen, also ist ein wichtiger Teil davon, dass es einfach Spaß macht. Es ist absolut lohnend, wenn sich unsere Fans mit einem Album verbunden fühlen. Offen gesagt, ich würde mir wünschen, wir hätten eine größere Fanbase, aber die Fans, die wir haben, sind fantastisch und geben uns die Motivation, weiterzumachen.
Ich möchte mich nie zu einem neuen Album „zwingen“ – ich schreibe definitiv nur, wenn ich mich inspiriert fühle. Aber wenn das so ist, neige ich dazu, sehr hart zu arbeiten, so halte ich den Schwung aufrecht. Chris (Quirarte), unser Drummer und ich sind eindeutig die Alpha-Tiere in dieser Band, daher versuchen wir beide so viel Energie wie möglich in den Zeitplan von REDEMPTION zu bringen.

Travis Smith hat einen tollen Job abgeliefert. Erzähl mir über die Symbolik des Artworks von „This Mortal Coil“

Ich bin äußerst zufrieden mit der Metapher. Es beginnt mit dem medizinischen Symbol – dem Hermesstab. Aber anstatt der Schlangen die sich um den Schaft winden, wickeln sie sich äußerst übelwollend um eine menschliche Figur. Das ist ein Spiel, einerseits mit dem medizinischen Symbol, andererseits mit der Phrase „This Mortal Coil“ (coil: die Spirale, die Spule, die Windung). Außerdem hat der Hermesstab Flügel - in diesem Fall angesengt - das soll einen gefallenen Engel bzw. eine Ikarus-ähnliche Figur andeuten. Ich denke es ist sehr gut geworden, ich liebe es mit Travis zu arbeiten, er hat alle unsere Covers gestaltet.

Euer Sound ist im Laufe der Jahre stetig heavier geworden, aber die Lyrics scheinen auf eurem neuen Album ein wenig optimistischer geworden zu sein. Worum geht’s in den Songs?

Ich denke unsere Texte waren schon immer düster, aber mit einem gewissen optimistischen Unterton. Abgesehen von unserer ersten CD, die eine völlig andere Baustelle als die anderen ist, haben alle vier Studioalben ein „Happy End“ im Textfluss. Bei REDEMPTION geht es um Gegensätze, sowohl musikalisch, als auch lyrisch. Musikalisch, wie du ja schon bemerkt hast, geht es um den Widerspruch zwischen sehr heftigem, aggressivem Riffing und starken Melodien und Hooks - ebenso zwischen progressivem Metal mit einigen technischen Elementen und der Kombination mit einem sehr songorientiertem Zugang.
Textlich geht’s um den Gegensatz zwischen den hellen und dunklen Aspekten der Menschlichkeit, in der Beziehung zu uns selbst, zueinander und der Welt um uns. So gibt es Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Glaube und Verzweiflung, Entschlossenheit und Furcht, Verwunderung und Zynismus, usw. Im Falle von „This Mortal Coil“ handeln die Songs von unserem Verhältnis zum Konzept der Sterblichkeit: früher oder später werden wir uns alle bewusst, dass wir nur begrenzt Zeit haben. Manche erfahren das eher in markerschütternderer Weise als andere, so wie durch eine Diagnose – aber wir können uns dessen beispielsweise auch durch den Tod eines Freundes oder Familienmitgliedes bewusst werden. Sofern wir nicht glücklich genug sind, unerwartet im Schlaf zu sterben, sind wir fast immer darauf angewiesen, an irgendeinem Punkt über unseren Tod nachzudenken. Es ist, wie das restliche textliche Material für REDEMPTION, ein alltäglicher Teil der menschlichen Erfahrung, die wir alle teilen.
Was Düsternis und Optimismus betrifft: es gibt ein paar äußerst düstere Lyrics auf dieser Scheibe – vor allem „No Tickets For The Funeral“, „Dreams From The Pit“ und die erste Hälfte von „Noonday Devil“ sind sehr dunkel. „Noonday Devil“ repräsentiert den Wendepunkt im Textfluss – dort wechselt die Grundstimmung von Hoffnungslosigkeit, Angst und Verzweiflung hin zu Entschlossenheit, Hoffnung und Glaube.

Ist es ein Konzeptalbum?

In gewisser Weise. Mehr als bei unseren bisherigen Werken. Du könntest es bezeichnen als Konzeptalbum darüber, seiner Sterblichkeit zu begegnen. Es ist keine Rock-Oper, offensichtlich.

Der letzte Song fasst das ganze Album nochmal zusammen, so ähnlich wie auch schon auf „Snowfall On Judgement Day“ und „The Origins Of Ruin“. Welche Idee steckt da dahinter?

Der Schlusstitel auf „Snowfall…“ hat genaugenommen ein paar verschiedene Themen zusammengefasst. Es gibt Rückblicke auf zwei Titel von älteren CDs – „Sapphire“ und „Memory“. Auf „Origins…“ hat das der letzte Song nicht wirklich getan, vielmehr war es in gewisser Weise eine thematische Fortführung des Stücks „Parker’s Eyes“.
Bei „This Mortal Coil“ handelt es sich um eine andere Form der Zusammenfassung. Textlich hat es Sinn gemacht, nochmal auf den gesamten Weg zurückzublicken, auf den der Hörer im Laufe der gesamten CD mitgenommen wurde – die verschiedenen Gefühle, Angst und Entschlossenheit, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, all das, was ich vorhin schon erwähnt habe. Diese Emotionen nehmen eine neue Perspektive an im Lichte der Stimmung zum Schluss des Albums, der den Triumph über den Tod wiederspiegelt.

Musikalisch gesehen spiegelt es den Einfluss der späten SAVATAGE zu wider, denke ich. Ich stehe auf die vokalen Kontrapunkte, die sie in Songs wie „Chance“ und besonders auf der „Dead Winter Dead“ Scheibe verwendet haben. Ich glaube, man kann einiges an Emotion und Kraft in die Musik legen, wenn es gut gemacht ist und ich möchte REDEMPTION Alben mit genau der Art Gefühl beenden. Außerdem finde ich Songs, wie zum Beispiel „Victory“ von MEGADETH oder „My Eyes“ von DIO großartig, die sich auf die Geschichte der betreffenden Band beziehen. Natürlich haben wir nicht das Erbe eines DIO, aber wie könnte man das nicht cool finden, wenn er singt „I’ve seen it from Heaven and Hell, seen it from the eyes of a Stargazer“? ☺ Nun, wir blicken nicht auf Platten von vergleichbarer Bedeutung zurück, aber da ist immer noch das Lächeln, das dem Hörer ins Gesicht wandert, wenn sie sich auf diese Fahrt einlassen. Genau darum geht’s.

Leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit, die Coversongs zu hören. Wie habt ihr die Lieder ausgewählt bzw. habt ihr mehr davon geplant?

Wir haben schon immer im Laufe der Recordings Covers aufgenommen, das geht zurück bis zu einer immer noch unveröffentlichten Version des POLICE Songs „Synchronicity II“ aus der Zeit unseres ersten Albums. Auf der letzten Scheibe haben wir einige versucht, aber meiner Meinung nach hat keines gut funktioniert. Aber es war ausgemachte Sache, dass wir auch dieses Mal ein paar Coversongs machen wollen – so etwas kann viel Spaß machen.
Ich mochte den ELTON JOHN Song schon immer und wollte ihn schon machen, lange bevor ich die passende Band dazu hatte. Natürlich, DREAM THEATER haben bereits 1994 oder 1995 eine Version von „Funeral For A Friend/Love Lies Bleeding“ aufgenommen, aber ich dachte, nach über 15 Jahren können wir es riskieren, ohne den Vorwurf zu kopieren. Abgesehen davon denke ich, dass unsere Version ein bisschen aggressiver ist. Außerdem war ihre Aufnahme live, so gesehen sind sie auf jeden Fall verschieden genug.
TOTO mag ich einfach, so war „Hold The Line“ eine einfache Wahl. Ray (Alder) wollte immer schon diesen JOURNEY Song singen. Während wir uns durch die Lieder gearbeitet haben, kam er noch mit der Idee an, „Jane“ aufzunehmen UND ich dachte das könnte cool werden, wenn wir es richtig heavy auf einer 7-saitigen spielen. Die restlichen zwei Titel wurden schon währen der „Origins“-Sessions aufgenommen, aber noch nicht allgemein veröffentlicht. Meiner Meinung nach ist es also insgesamt ein richtig cooles Package für unsere Fans geworden. Wir können uns vorstellen weiterhin ausgewählte Covers aufzunehmen, solange wir das Gefühl haben, dass wir die Songs bereichern können.

Betreffend der ARCH/MATHEOS Zusammenarbeit: Jim Matheos hat in einem Interview erwähnt, dass Ray Alder aufgrund der Aufnahmen zu „This Mortal Coil“ für ein neues FATES WARNING Album nicht verfügbar war, also hat er die Songs mit John Arch aufgenommen. Gut für uns Fans, dadurch haben wir zwei hochklassige Scheiben bekommen. Ist das Thema für REDEMPTION, gibt es da Konkurrenz?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe schon zusammen mit FATES WARNING performt, Ray ist selbstverständlich noch dabei, John war mir persönlich gegenüber sehr schmeichelhaft über REDEMPTION. Ich habe es immer unterstützt, dass FATES WARNING Ray’s erste und führende Verpflichtung ist. REDEMPTION waren immer darauf bedacht, seiner Beteiligung, bei was auch immer FATES WARNING machen, nicht in die Quere zu kommen, das bezieht sich auch auf die ARCH/MATHEOS CD. Ich habe so enormen Respekt für FATES, dass ich da niemals störend einwirken würde.

Wie wir auf der „Frozen In A Moment“-DVD erfahren haben, habt ihr die DREAM THEATER Songwriting Competition gewonnen. Hatte das Einfluss auf James LaBrie’s Beitrag auf „Another Day Dies“? Steht ihr noch in Kontakt?

James ist ein guter Freund, wir haben Kontakt – ich bin erst unlängst für eine Stunde oder so mit ihm abgehängt nach ihrer Show in L.A. Ich glaube nicht, dass der Contest etwas mit seinem Beitrag zu tun hatte, bzw. damit, dass uns DREAM THEATER eingeladen haben, sie zu auf Tour zu supporten. Nichtsdestotrotz, die Tour und James dabei kennenzulernen hatte sicherlich Einfluss auf diese spezielle Zusammenarbeit.

Außer der besagten Tour mit DREAM THEATER 2007 sind REDEMPTION-Gigs eher selten. Es gab einige Dates im Oktober mit KINGCROW in Europa. Habt ihr weitere Live-Aktivitäten geplant?

Wir haben schon einige Auftritte mehr gespielt, allerdings ist es logistisch immer eine große Herausforderung, außerdem ist es ausgesprochen kostenintensiv. Wir spielen nächstes Jahr am Prog Power in den Staaten und werden vermutlich rundherum ein paar Dates dranhängen. Nächstes Jahr wird für Ray aber vor allem ein „FATES WARNING Jahr“ werden.

Wie geht’s „Parker’s Eyes“? Gibt’s schon Fortschritte in der Forschung?

Sie haben sich vorläufig nicht korrigierbar bei 20/400 der Sehstärke stabilisiert. Es gibt Fortschritte in der Verwendung von embryonalen Stammzellen für die Erfordernisse der Netzhaut. Derzeit werden Test durchgeführt mit einigen Patienten mit schwerwiegenderen Voraussetzungen. Wenn das Erfolg bringt, und die Gesellschaften, die die Forschung betreiben, lange genug überleben, um einen Markt für ihre Therapien zu finden, dann könnte die Behandlung unter Umständen irgendwann in ferner Zukunft auch bei ihr angewandt werden. Darüber können wir uns dann in einigen Jahren nochmal unterhalten.

Danke für deine ausführlichen Antworten, Nick. Gibt es abschließend noch etwas, was du deinen österreichischen Fans mitteilen möchtest?

Danke, wie immer, für euer Interesse und eure Unterstützung! Wir hoffen, dass wir es bald wieder zurück nach Europa schaffen werden, um für euch zu spielen!


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