Interview: Michael Kiske

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Es ist wichtig, zu allem zu stehen, was ich gemacht habe. Das tue ich auch. Alles andere ist nicht gesund.

Obwohl Michael Kiske, der Mann mit der Wahnsinns-Stimme, schon seit 15 Jahren nicht mehr bei den Kürbisen (HELLOWEEN) mitwirkt, hat er jetzt trotzdem ein paar seiner Klassiker von damals neu umgesetzt. Dazu mußte ich ihm doch gleich ein paar Fragen stellen...

Text: Baphomet
Veröffentlicht am 24.05.2008

Deine aktuelle Scheibe „Past In Different Ways“ ist gerade auf den Markt gekommen. Ist für Dich damit das Kapitel HELLOWEEN abgeschlossen?

Das Kapitel ist seit 15 Jahren ja abgeschlossen, weil ich nicht mehr Teil der Band bin. Aber ich bin der Ansicht, dass alle meine negativen Erfahrungen in der Band kein Grund dafür sind, meine eigenen Songs aus dieser Zeit nicht mehr zu mögen. Diese Songs habe ich mit PIDW nun wieder angenommen. Es ist wichtig, zu allem zu stehen, was ich gemacht habe. Das tue ich auch. Alles andere ist nicht gesund.

Du hast geschrieben, dass Du die Songs von damals heute leicht abgewandelt wieder als „Deine“ wissen wolltest. Ist Dir das geglückt? Bist Du zu 100% zufrieden mit Deiner Arbeit? In wie weit konnten Dich Deine Mitmusiker darin unterstützen oder ging das alles auf Eigenregie?

War alles Eigenenergie, aber gute Musiker machen natürlich immer auch sehr viel aus, weil sie ihre Marken setzen. Ich bin mit allen Songs zufrieden, nur "A Little Time" hätte ich vielleicht anders aufziehen können. Ich hatte zu spät erst die Idee, mich an der Urversion vor Helloween zu orientieren; die war wesentlich komplexer. Der Song war nie so richtig ein Favorit von mir und die alte Version überarbeitet hätte sicher mehr abgegeben. Zeit ist leider immer mehr ein Problem bei mir.

Metal-Kracher in Akustik-Nummern umzuschreiben scheint offensichtlich zu klappen. Hat bei Dir die MTV-Unplugged-Welle erst jetzt Einzug gehalten?

Also mit Wellen schwimme ich ja eh nicht, es hat sich einfach so ergeben; die Anfrage kam von Frontiers Records und ich konnte nach längerem Überlegen einfach keinen wirklichen Grund dafür finden, es nicht zu machen. War auch wirklich wichtig für mich im Nachhinein.

Seit Deinem Ausstieg bei den Kürbissen ist es ja nicht gerade „laut“ um Deine Person gewesen. Erst mit Deinen Beiträgen zu Tobias Sammet´s AVANTASIA und der neuen Timo Tolkki Scheibe „Revolution Renaissance“ ging Dein Name wieder durch den Metal-Blätterwald. Werden wir, außer natürlich mit der aktuellen Scheibe, noch mehr von Dir hören? Wie schaut es mit PLACE VENDOME aus?

Place Vendome ist in Arbeit, ansonsten muss ich mal sehen, was die Zukunft so bringt, weil man immer wieder versucht, mich zu unfreier Musik zu zwingen und ich deshalb wohl auch mit Frontiers nicht mehr weiterarbeiten kann. Ich muss irgendwann mal wieder auf die Bühne. Das geht aber nur gut, wenn ich genug Publikum habe, das meine heutige Musik nachvollziehen kann und nicht bloß die vergangene.

Gehst Du mit der neuen CD auch auf Tour oder gibst Du zumindest ein paar Konzerte?

Wenn, dann erst mit einem NEUEN Album in den Läden; es macht emotional einfach keinen Sinn, nach 15 Jahren auf die Bühne zu gehen mit einem Album, das alte Songs beinhaltet. Das fühlt sich falsch an; auch wenn ich zu dem Material stehe.

Gab es irgendwelche Reaktionen von Seiten HELLOWEEN auf „Past In Different Ways“?

Herr Weikath wird seinen Mund ganz sicher nicht halten können, das ist klar. Ich sehe die Sache allgemein so: die Band hat mich verkauft und verraten und in den Augen der Öffentlichkeit versucht als Clown hinzustellen; und jetzt nehme ich meine Musik wieder zurück. Das Macht moralisch alles Sinn für mich.

Immer wieder gibt es Perioden in denen sich „Originalbesetzungen“ wieder zusammenraufen und es nochmals miteinander versuchen. Rein theoretisch: könntest Du Dir das vielleicht in ein paar Jahren vorstellen?

Nein! Das ganze ist eine Frage der Ehre und des Selbstwertgefühls. Keine Mensch mit gesundem Ehrgefühl würde im Privatleben mit Leuten, die ihn verraten und verlästert habe wieder auf gute Miene machen bloß aus geschäftlichen Gründen; ich jedenfalls nicht. Aber von Musikern erwartet man derartige Dinge komischerweise immer. Es war eine rein persönliche Angelegenheit zwischen mir und... Der Rest ist üblicher Gossip und Marketing-Geschwätz.

Auf http://www.geisteskind.de/ gibst Du Dich auch als Schreiber von philosophischen Aufsätzen. Da bewegst Du Dich auf der anthroposophischen Seite. Möchtest Du da vielleicht unseren Lesern einen kurzen Überblick geben?

Man muss sehr viel gründlicher sein und tiefer schürfen als heute meist so üblich, um entscheidende Probleme der Gesellschaft und des Menschen an sich erkennen zu können, geschweigen denn, sie zu lösen. Deshalb ist ''kurz'' immer etwas problematisch. Die Seite steht eigentlich ja dazu im Netz um einen gründlicheren Überblick über Anthroposophie und Anderes zu geben. Aber ganz allgemein auch, um mein Denken etwas verständlicher zu machen. Unserer Kultur fehlt es überall an geistiger Substanz! Das Internet ist hier für Künstler eine super Sache! Denn man hängt als Künstler nun nicht mehr davon ab, was Magazine & Co schreiben oder wie sie auch deine eigenen Worte am Ende hinstellen, sondern du kannst direkt zu (oder mit) den Menschen reden. Das ist wirklich klasse!

Inwiefern fließt diese Anschauung in Deine Musik ein?

Wie überhaupt bei allen echten christlichen Impulsen ist auch Anthroposophie nur real, wenn sie uns verändert, wenn sie in uns lebendig und Leben wird. So fließt sie dann natürlich auch in alles voll ein, auch wenn ich nicht direkt Song-Texte darüber schreibe. Sie will ein Hilfsmittel zur Menschwerdung sein; nicht bloß eine weitere Summe von abstrakten Begriffen im Kopf.

Auf Deiner MySpace-Seite hast Du auch ein klares Statement zum Thema MP3/Download und dem damit verbundenen „Musiksterben“ gepostet. Wie könnte man diesem Trend entgegenwirken?

Menschen, die Musik lieben, müssen Künstler von sich selber aus nicht mehr ausbeuten wollen. (Und Raubkopieren ist nichts weiter als Ausbeutung, denn man will für Leistungen ja nicht mehr bezahlen.) Und nur mit freier und ehrlicher Kunst kann man dahin arbeiten. Nur durch eine wahrhaftige Beziehung zwischen dem Künstler und den Menschen, die etwas Moralisches aus dieser Kunst ziehen können, kann ein echtes Interesse der Menschen auch an der sozialen Situation des Künstlers entstehen. Asoziale interessieren sich nur für sich selber, die werden auch nie damit aufhören, zu kopieren. Eine Kunst, die dem Asozialen (Unmenschlichen) entgegen wirkt, sehe ich deshalb als die einzige Lösung; zumindest als Künstler. Ich bin kein Politiker, aber auch dort läuft es von der Essenz her auf das Selbe hinaus. Nur ein Kick zum geistigen Verständnis von Mensch, Welt und Kultur wird hier helfen. Gesetze sind immer ziemlich machtlos; es sei denn, man will einen 100%igen Überwachungsstaat (wie ihn die Amerikaner anstreben). Den will ICH aber ganz bestimmt nicht! Aber darauf läuft es leider notwendig hinaus, wenn die Gesellschaft zum Halunken-Staat wird ...

Welche Lieblings-Bands hast Du derzeit?

Unbedingt Travis! Ich habe mich außerdem gerade in die oft herunter gemachte "Wagner Ring Aufnahme von Herbert von Karajan" verliebt! Habe ich lange ignoriert wegen schlechter Bewertungen; aber ich bin sehr begeistert!

Was möchtest Du unseren Lesern mit auf den Weg geben?

Die beste (ehrlichste) Musik, die ich machen kann, und dann ganz bestimmt meine Aufsätze. Besseres kann ich zurzeit noch nicht geben.

Vielen herzlichen Dank für das Interview!

Jederzeit! Und alles Liebe!
Michael Kiske


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