30.08.2023, Arena Wien,

DIE ÄRZTE

Veröffentlicht am 05.09.2023

DIE ÄRZTE waren für mich als Teenager in den 90ern die erste Lieblingsband. Ich habe damals fast nichts anderes gehört, ausgenommen den „Bravo Hits“. Sie bescherten mir mit 13 Jahren mein erstes Konzerterlebnis auf der „Voodoo Lounge“-Tour in der Stadthalle in Wels. Zwei Jahre später im reiferen Alter von 15 Jahren, wo ich gemäß Gesetz bis Mitternacht fortgehen durfte, konnte ich dann in Begleitung meines Firmpaten auch das gesamte Konzert erleben.

„Danach habe ich mich dem Bund nicht verweigert, Bundesheer war angesagt, in die Kaserne für 8 Monate, ohoho“ [Anm. d. Verf.: freies Zitat nach „Omaboy“]. Bis dahin war das „Le Frisur“-Album für mich harter Stoff. Dann habe ich aber meine Lieblingsband aus den Ohren verloren und härteren Stoff wie METALLICA entdeckt. Ab 2001 verfolgte ich dann auch mehr die Solokarriere von FARIN URLAUB, als die „Geräusche“ von den ÄRZTEN.

Erst 2008 erschien mir meine ehemalige Lieblingsband wieder, auf der Open Air Bühne der Burg Clam, was mir ein großartiges Konzerterlebnis mit meinem 16jährigen Bruder bescherte. Ich selbst war mit 25 Jahren nicht mehr der Jüngste, die Band aber nachwievor ein Teenagermagnet. Das gerade erschiene Album „Jazz ist anders“ mit der Hitsingle „Lasse redn“ bescherte der besten Band der Welt auch dank der Rotation auf Ö3 in Österreich den kommerziellen Durchbruch.

Diese Tatsache manifestierte sich 2009 im Linzer Stadion mit zwei Konzerten. Zwar hatte ich auch bierbedingt viel Spaß und es waren zum ersten Mal auch viele Bekannte dort, die mit den ÄRZTEN bis dahin wenig anfangen konnten, ich konnte mich dem Eindruck jedoch nicht erwehren, dass die Band nicht mehr nur für ihre Fans, sondern auch vor „Ö3 Publikum“ spielte.

2011 fand dann bei mir die Live-Kurskorrektur in Form des LATERNEN JOE Geheimkonzerts im Grazer Orpheum statt, wo sie richtig alte Lieder und B-Seiten auspackten. Nach 2013 wurde es aber auch seitens der Band sehr still. Erst 2019 stand wieder das NOVA ROCK auf dem Programm, 2022 Konzerte in Graz und in Bad Hofgastein und 2023 Headliner am NOVA ROCK und am FREQUENCY. Aus meiner Sicht funktionieren DIE ÄRZTE aber besser auf kleineren Konzerten vor Fans, was uns nun endlich zu den Konzertabenden der Arena Wien Ende August 2023 führt.

DAS KONZERT

Ein langer „Herbst des Lebens“-Abend mit den ÄRZTEN, so wie früher und diesmal ohne Hunde und Pferde, sollte es werden. Diese Aussage ließ vieles erwarten. Wie ich bereits auf früheren Konzerten gelernt habe, ist es besser nicht zu viel zu erwarten und den Moment einfach zu genießen. Was mir bei GOJIRA vor zwei Monaten selber schwer fiel, war für mich dieses Mal die Voraussetzung für einen gelungenen Konzertabend. Dadurch, dass ich erst am zweiten Tag am Start war konnte ich mit der Setlist von Dienstag schon erahnen, dass es kein „DIE ÄRZTE früher“ Konzert werden würde.

„Wer verliert, hat schon verloren“ war ein gelungener Einstieg mit coolem Basssound und lässigem Solo. Das „Lied vom Scheitern“ ein typischer Bela B. Song mit Refrain zum Mitsingen. „Ein Lied für dich“ ließ danach das Fanherz aus den späten 90ern höherschlagen. Mein erstes persönliches Highlight. Bei „Geld“ sah ich die ersten Kinder mit ihren Eltern mitsingen. Anscheinend sind DIE ÄRZTE nun ein generationsübergreifender Familienmagnet. Ob alle mitgenommenen Kinder mit dem Konzert etwas anfangen konnten, sei dahingestellt. Zumindest schmeckten ihnen die Hot Dogs, die sie vor meiner Nase futterten.

Rod durfte mit „Tamagotchi“, meiner Meinung nach einer der schlimmsten verbrochenen Songs, auch mal singen und wurde nach der zu erwarteten verhaltenen Publikumsreaktion von Bela auch gleich mit dem Sager „probiert hat er es“ verarscht. Genau mein Humor. „Der Misanthrop“ war der nächste persönliche Höhepunkt, einer der besten Songs der besten Band der Welt. Die Musiker finden den Song gemäß eigener Aussage selber geil, nur das Publikum zog auch dieses Mal nicht richtig, weil es den Song einfach nicht kennt. Textlich ein Meisterwerk.

Mit den neuen Songs von „Hell“ und „Dunkel“ konnte ich bei Erscheinen der Alben nicht viel anfangen. Nachdem ich mich aber für dieses Konzert durch Beschäftigung mit den Songmaterial in die notwendige Konzertstimmung gebracht und auch schon mein drittes Bier in der Hand hatte, konnte ich mich auch für „Noise“ erwärmen.

„Ein Sommer nur für mich“ war in der nazifreien Arena natürlich ein Heimspiel und brachte die Konzertbesucher in noch bessere Stimmung. Vermutlich auch als Vorbereitung für „Vokuhila Superstar“, das wieder mal kaum jemand kannte. Ich feierte den geilen Basslauf, das fetzige Riff und den Songtext „Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt, ballerst du durch diese Welt, Peter Maffay ist dein Held“ aber ab.

Für das Publikum war dann „Lasse redn“ vermutlich der Höhepunkt, und es ist auch schön zu sehen, dass die anderen auch Spaß hatten. Der Mix zwischen Neuem wie „Ich, am Strand“ und Altem vor allem „Ignorama“ funktionierte zumindest bei mir. Ich fand es auch nicht die schlechteste Entscheidung, dass Farin und Bela ihren Bassisten nicht so oft singen ließen, der sich auch eher im Hintergrund hielt. Ein paar gute Songs schrieb Rod ja auch wirklich und ich konnte mich auch mit dem „1/2 Lovesong“ und „Anti-Zombie“ anfreunden, bei denen Rod mit Farin den Frontmannplatz auf der linken Seite und seinen Bass mit der Gitarre tauschte.

Kultsongs der 80er wurden mit der Ausnahme von „Popstar“ in der Zugabe, bei dem ich als einer der wenigen lautstark mitsang, leider nur mit kurzem Anspielen wie von „Bitte, Bitte“ oder „Blumen“ gewürdigt. Sicher wäre es mir auch lieber gewesen, wenn mehr alte Songs gespielt worden wären, aber man braucht ja auch Zeit zum Bier holen und zum Urinieren.

Ganz große Klasse waren „Die Banane“, den Bela so ankündigte, dass er den Song seiner Frutarier-Phase geschrieben hat. „Für uns“ vom „Bestie in Menschengestalt“-Album mit dem signifikanten Gitarrenlick empfand ich sehr geil zum Mitsingen und mit „Trick 17 m. S.“ wurde es auch mal ein wenig punkig. Mit „Herrliche Jahre“ und „Perfekt“ ging das Hauptkonzert dann in die Zielgerade und wurde mit einem grandiosen „Unrockbar“ mit Niedersitzen und Hochspringen-Spiel beendet.

Nachdenklich gings mit Farin solo auf der Akkustikgitarre mit „Leben vor dem Tod“ in die erste Zugabe. Nach dem bereits erwähnten „Popstar“ gab es mit „Deine Schuld“, einen modernen Klassiker zu hören. Bei „Dinge von denen“ kam Rod wieder zum Zug. Über „Himmelblau“ lüftete Farin sein Geheimnis, dass er den Song von U2 geklaut hat. Und „Hurra“ ließ die Stimmung regelrecht explodieren und die letzten Kräfte im Pogopit entleeren.

Doch die Jungs hatten noch lange nicht genug. Denn zum Schluss wurden noch „Wie es geht“, „Junge“ und obligatorisch „Schrei nach Liebe“ gespielt. Es wurde sich danach auch brav vorm Publikum verbeugt, ehe das Publikum mit dem „Schlaflied“ als Outro heimgeschickt wurde, das ich als Teenager meinem kleinen Bruder vorsang, was ihm dadurch Alpträume bescherte. Mea Culpa.

RÉSUMÉ

Das war also eine drei Stunden Show, die ohne je langweilig zu werden mit einer gelungenen Performance und Spaß an der Sache überzeugte. Ich fand die Ansagen und Witze, wie beim Anspielen von „Crazy Train“, dass Ozzy Osbourne der Keyboarder von KISS sei oder der Versuch wienerisch zu sprechen sehr gelungen. Die Reaktion von Bela auf ein „Bela, ich will ein Kind von dir“-Schild, dass er keines mehr hat, weil er schon alle weggegeben hat, bescherte Farin einen Lachanfall, was sehr spontan rüber kam.

Witzig habe ich auch gefunden, dass ein Fan vermutlich eine halbe Stunde mit der Handylampe am Boden nach einem Drumstick, den Bela ins Publikum geworfen hat, suchte und der auf sonderbare Weise auf einmal verschwunden war. Tja, Sachen gibt’s.

Ich hatte das Gefühl, dass sich die Band in der Arena sehr wohl gefühlt hat und den Abend mit der Sicht auf den Vollmond als einen besonderen auf der Tour in Erinnerung haben wird. Für mich war der Konzertabend durch die Kombination aus der Location, bester Sicht, bestem Sound und angenehmem Publikumsaufkommen sicher eines meiner persönlichen Konzerthighlights und ein würdiger Abschluss mit meiner ehemaligen Lieblingsband, die ich wohl in diesen Rahmenbedingungen nicht mehr wiedersehen werde. Von mir aus können DIE ÄRZTE aber täglich in der Arena Wien praktizieren.

POSTSKRIPTUM

Leider fehlten mir am Mittwoch ein paar Songs vom Dienstag: „Mein Baby war beim Frisör“, „Quark“, „Meine Freunde“, „Angeber“, „Geschwisterliebe“, „Langweilig“ und „Der Graf“ wären schon sehr cool gewesen. Ich hätte wohl auch am Dienstag gehen sollen, tröste mich aber mit dem Umstand, dass ich froh sein konnte, zumindest für einen Tag eine Karte bekommen zu haben.


WERBUNG: Hard
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