THE HIRSCH EFFEKT - KOLLAPS

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VÖ: 08.05.2020
Bandinfo: THE HIRSCH EFFEKT
Genre: Progressive Hardrock
Label: Long Branch Records
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Lineup  |  Trackliste

THE HIRSCH EFFEKT waren in diesem Jahrzehnt eine der spannendsten Bands in einem eigentlich schwer definierbaren Sektor (Prog Metal? Artcore?). Am besten passte wohl die musikalische Beschreibung in ihren Noten „rapido progpunk“), und nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Die „Holon“-Albumtrilogie war ein herausragendes Beispiel für eine Musik, die sich jeder Zuordnung, jedem Fassen nach einem roten Faden entzog (ich kann mich der „Bombastisch!"-Bewertung des Kollegen zu „Holon: Agnosie" nur anschliessen).

Einen größeren stilistischen Bruch gab es dann aber mit dem 2017er Album „Eskapist“: weg vom eher alternativ-punkigen Sound hin zu stärkerer Heavy Metal- Affinität (deutlich spürbar auch durch die Wahl von Jens Bogren als Produzent). Das war wohl kommerziell die richtige Wahl, es wurden viele Fans dazugewonnen, man stieg in Plattencharts ein und spielte bei größeren Festivals wie Wacken. Allein, damit war der ursprüngliche Zauber der ersten drei Scheiben zugunsten eines zwar noch immer spannenden, aber nicht mehr ganz so einzigartigen Profils verflogen. Während alle „Holon“-Scheiben sich trotz wildester musikalischer Schwünge mit rasenden Melodien, Riffs und Refrains im Hirn festgesetzt haben, blieb von „Eskapist“ kaum etwas hängen.

Mit dem aktuellen „Kollaps“ setzen die Jungs von THE HIRSCH EFFEKT den mit „Eskapist“ eingeschlagenen Weg fort: Jens Bogren sitzt noch immer am Mischpult, und viele Riffs sind nochmal ein Stück in die härtere Ecke gerückt (man höre etwa das heftige Metal-Gemetzel mit MESHUGGAH-Referenz bei „Deklaration“). Dafür nehmen sich Nils, Ilja und Moritz ab und zu auch mal wieder zurück und erinnern an verspieltere, frühere Zeiten. So startet „Kris“ etwa noch ruhig und elektronisch, bevor der fette Rock mit immer wieder auftretenden abrupten Brüchen und träumerischen Texten kommt. „Noja“ ist ein guter Mix aus alten und neuen Tugenden - hektische Gitarren und krächzende Härte geben sich ein Stelldichein, und der Oldschool-Rap am Ende ist schön skurril.

Auch „Domstol“ überrascht in typischer THE HIRSCH EFFEKT-Manier, wenn am Anfang ein Geburtstags-Lobgesang angestimmt wird („hoch lebe der Jubilar“ in diesem Sound zu hören, ist ein unvergessliches Erlebnis). Aber der Track kann auch sonst einiges, mit vielstimmigen Chören und schrägem Chillout-Prog, bevor dann wieder fast Thrash-artige Riffs ausgepackt werden. Der zweite Albumteil ist dann eher ruhiger, es treten öfter Streicher auf (beim Instrumental „Moment“ und bei „Agera“), „Torka“ ist wunderschön düster, und „Bilen“ lebt viel von den eingespielten Computer-Sounds. Der Sound ist wie gesagt ähnlich wie bei „Eskapist ausgefallen, die Texte erinnern aber eher an frühere Zeiten, mit vielen absurden Ausfällen und kritischen Anmerkungen (und wie bei allen THE HIRSCH EFFEKT-Alben haben die Songtitel nichts offensichtliches mit den vorkommenden Texten zu tun, außer beim Titeltrack, da kommt tatsächlich im Text das Wort „Kollaps“ vor… sind die Jungs da etwa faul geworden?).

Am Ende bleibt aber ein zwiespältiges Urteil über: vieles auf „Kollaps“ ist in klassischer THE HIRSCH EFFEKT-Qualität, von den instrumentalen Ausritten der drei Deutschen über die gewohnt tiefsinnigen Texte bis zu den irrwitzigen Stilmischungen. Die großen Hymnen und einzigartigen Riffs der Frühzeit haben aber zum Großteil der härteren, direkteren Gangart der Band Platz gemacht. „Kollaps“ wird damit auch wieder viele Freunde finden, Fans der guten alten Zeit werden es aber schwieriger haben.



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Luka (09.07.2020)

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