MEGAHERZ - In Teufels Namen

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VÖ: 11.08.2023
Bandinfo: MEGAHERZ
Genre: Metal
Label: Napalm Records
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Lineup  |  Trackliste

Die Zeit ist eine Schlechte – das wussten die Spätzle-Punker von WIZO schon 2014. Die vergangenen Krisenjahre haben allerhand Verwerfliches zu Tage gefördert bzw. offenkundig gemacht und intensiviert, was unter dem oberflächlichen Zuckerguss schon lange gärte. Liegt es an Corona? An einem verschleppten Lagerkoller? An einer Radikalisierung aus Langeweile oder Frust über den multiplen Krisen-Orgasmus unserer Zeit? Wo man auch hinhört und -sieht, findet man nichts als Tod, Teufel und…nun ja…Arschlöcher. Diesem Phänomen widmen MEGAHERZ gleich ein ganzes Album, auf dem sich der rote Schweif des Gehörnten wie ein ebenso gefärbter Faden durch die Lyrics zieht.

Eigentlich mag ich ja keine Track-by-Track-Reviews, empfinde sie sogar als regelrecht ermüdend, aber in diesem Fall komme ich nicht umher, mich selbst in einer alle Songs umfassenden Albumbesprechung zu üben – so here we go:

Der Titeltrack "In Teufels Namen" eröffnet nicht nur mit harten Riffs und einem eingängigen Refrain, sondern auch mit einem äußerst gelungenen Text, der zunächst die zahlreichen Missbrauchsskandale der katholischen Kirche und das Wegsehen vieler Menschen thematisiert. Im Kontext der zweiten Strophe kann man den Fokus weiter fassen und das Wegsehen auf die Ignoranz endlicher Ressourcen beziehen ("ein Leben im Überfluss", "Nichts ist gut genug, befriedigt meine Gier").

Im starken Kontrast hierzu kommt "Rabenherz" deutlich beherrschter im Tempo rüber…und leider auch weitaus elektrischer, künstlicher und auch ein Stück weit kitschiger. Aber geschenkt – lassen wir uns nicht beirren und suchen weiter nach dem Leibhaftigen in all seinen Verkleidungen…

…manchmal sogar in einem scheinbar geliebten Menschen – aus der Perspektive von Sänger Lex und im nächsten Track in Gestalt einer verführerischen Frau mit "Engelsgesicht". Wer kennt sie nicht, die berüchtigte Femme Fatale? Den seelenlosen Vampir mit dem strahlenden Lächeln…den Prada tragenden Teufel...den Succubus, der nichts weiter als deine Geldbörse im Sinn hat…die Sirene, die dich mit betörendem Gesang ins Verderben lockt? Der Lied gewordene Beweis dafür, dass die Gleichberechtigung auch im Reich der Dämonen Gültigkeit besitzt – und das schon seit Äonen – warum sonst würde man diesem rockigen Earcatcher eine dezent mittelalterlichen Touch in der Melodieführung verpassen? Sehr geile Nummer!

Ähnlich schwungvoll und ohrwurmig, mit unaufdringlichen Keyboardklängen im Hintergrund, betont "Freigeist" die Bedeutung des Denkens außerhalb der gängigen Grenzen und Konventionen – fernab der schwurbelintensiven Desinformationsindustrie, die den Begriff des "Freigeists" inzwischen ad absurdum geführt und pervertiert hat.

"Der König der Dummen" greift besagte Perversion unvermittelt auf und punktet mit pfiffigem Wortwitz: "Attila, Attila, Attila, Attila – der König der Dummen" / "und du bist der König der Dummen, wenn du diesen Scheiß teilst" [Anm. d. Verf.: hier schallert es lustigerweise "Dummen" statt "Hunnen"…und von welchem Attila hier die Rede ist, lassen wir mal lieber unangetastet...nur so viel: die Rede dürfte sicherlich nicht von Herrn Dorn von POWERWOLF sein]. On Top ist sich die Nummer nicht zu schade, ein paar der hier angesprochenen Persönlichkeiten direkt beim Namen zu nennen – Respekt für diesen lässigen Move!

Auch "Kannst du den Himmel sehen?" ist wie das bereits erwähnte "Rabenherz" etwas (zu) reich an Pathos und dicht am Kitsch gebaut, doch sichern sich zumindest die aufbauenden Lyrics mit dem Appell, trotz der sinnbildlichen Wolken am Himmel nicht die Zuversicht zu verlieren, ein paar verdiente Sympathiepunkte.

Generell geht es in der zweiten Albumhälfte etwas düsterer zu Werke. So markiert "Amnesie" mit seinen grenzwertig morbiden Lyrics und Phantasien in Richtung "permanenter Amnesie" einen der lichtärmsten Momente und einen lyrischen Grenzgang der Platte.

Wohingegen mein Initialköder und unangefochtener Album-Hit, die erste Vorabsingle "Alles Arschlöcher", den unterhaltungstechnischen Höhepunkt darstellt. So tiefgründig wie flach, ein wenig unbequem und prollig im Wortlaut und musikalisch mit einem erstklassigen, NDH-typisch stampfenden Hauptriff gesegnet, das ab dem ersten Spin die Trommelfelle perforiert. Die simple Aussage dahinter: man muss nicht für jede noch so hirnrissige Position Verständnis aufbringen – Schwachsinn bleibt Schwachsinn und Schwachköppe nun mal Schwachköppe…oder um beim Text zu bleiben: Arschlöcher. Eine klare Absage an all die extremen (und nicht selten extrem unvernünftigen) Positionen, auf deren Fundament tagtäglich unnötigste Grabenkämpfe um nichts veranstaltet werden. Die Stimme einer scheinbar längst wegrationalisierten, wenn nicht sogar wegradikalisierten Mitte.

Auf diesen Anti-Extrem-Anschiss erscheint das "menschenverachtende" "Menschenhasser" als logische, wenn auch überdrehte Konsequenz – kein Wunder, dass ausgerechnet der neben "Amnesie" boshafteste Text des Albums in ein lupenreines RAMMSTEIN-Gewand gekleidet ist [Anm. d. Verf.: eine neutrale, musikjournalistische Feststellung, die mir insofern schwer fällt, als dass ich des Anblicks des Berliner Männerballetts und insb. ihres Vorturners mit Verweis auf ihr Verhalten in den letzten Wochen hochgradig überdrüssig bin]. Abgerundet wird das Ganze durch den Epilog "Ich hasse", der den Refrain mit klassischen Klängen wiederholt und zumindest im Album-dramaturgischen Sinne ein brauchbares Gimmick darstellt.

Noch einmal interessant wird es schlussendlich mit dem Rausschmeißer "Auf dem Weg zur Sonne", der den Hörer nach einer Reihe therapeutischer Wutanfälle und Klagelieder mit einem trotzigen Hoffnungsschimmer aus dem Teufelswerk entlässt. Dazu griffige Hooks und ein Finale mit Streichern – eine Sternstunde in Sachen Komposition, sowohl in Bezug auf den Track selbst als auch auf die Tracklist-Position.

Summa summarum bietet "In Teufels Namen" einen  wilden Ritt mit überwiegend hart riffenden Perlen im Spannungsfeld zwischen NDH, Dark Rock und Metal, die ihre Wurzeln nicht verleugnen und den allmächtigen Satansbraten (der in Metal-Kreisen viel mehr als Buddy-Typ stilisiert wird) in all seinen gängigen Erscheinungsformen umschreiben und entlarven. Einzig die beiden schmalzigeren Tracks halten mich davon ab, diesem sehr gelungenen Opus phänomenale 4,5 Punkte zu spendieren – aber heute ist nicht aller Tage Abend...vielleicht nächstes Mal und unter Umständen sogar in einem weniger exzessiven Review!



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (04.08.2023)

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