Heavy Metal in der DDR - Die Geschichte einer Ausstellung Teil 2 - Das Interview

Veröffentlicht am 15.03.2024

Liebe Liza, lieber Johannes! Hallo nach Berlin! Toll, dass es mit unserer kleinen Plauderei geklappt hat. Vielleicht stellt ihr zwei euch zu Beginn kurz vor? 

Liza: Ja sehr gerne. Mein Name ist Liza Soutschek. Ich bin hier am Berliner Standort vom Haus der Geschichte die wissenschaftliche Volontärin. Ich habe Geschichte und Kommunikationswissenschaften in München studiert und dort auch promoviert. Und seit zwei Jahren bin ich jetzt hier im Museum in der Kulturbrauerei. Mein Volontariat geht jetzt auch so langsam zu Ende und die die Heavy Metal-Ausstellung war jetzt so DAS große Projekt innerhalb des Volontariats, das ich mit bearbeitet habe. 

Johannes: Ich bin Johannes Günther. Ich habe in Potsdam Zeitgeschichte und Religionswissenschaften studiert, war dann im Deutschen Museum in München tätig und bin jetzt auch seit etwas mehr als zwei Jahren im Museum in der Kulturbrauerei und arbeite unter anderem auch im Beta-Projekt mit.

Das heißt, ihr wart bereits vor der Ausstellung, über die wir heute sprechen, mit anderen Projekten im Museum beschäftigt.

J: Genau.

Das Thema der Ausstellung, das Musikgenre Heavy Metal, die Musiker und die Fans in der ehemaligen DDR unter die Lupe zu nehmen, ist ja nicht unbedingt im Mainstream angesiedelt, sondern schon eher speziell. Wie seid ihr darauf gekommen, und wer hatte die Idee, bzw. den zündenden Gedanken?

L: Die Idee kam zum ersten Mal auf als wir vor drei Jahren hier im Haus eine Buchvorstellung hatten, und zwar „Red Metal“ von Nikolai Okunew [siehe Buch-Rezension und Interview mit Nikolai bei Stormbringer. Anm. d. Verf.]. Diese Buchpräsentation war durch persönliche Kontakte von Nikolai zum Museumsteam zustande gekommen. Und wir haben dann festgestellt, dass es zu diesem Thema eine große Nachfrage gibt. Zum einen natürlich aus der Szene selbst – es sind wahnsinnig viele Leute zur Buchvorstellung gekommen. Zum anderen haben wir aber auch generell einen großen Zuspruch verzeichnet, weil viele Menschen an den Bereichen Musik und Jugendkultur in der DDR interessiert sind und überrascht waren, dass es damals im Osten überhaupt eine Metal-Szene gegeben hat. Und so hat sich aus der Buchvorstellung heraus die Idee entwickelt: „Ach da könnte man ja eigentlich auch eine Ausstellung dazu machen“. Unter anderem auch, weil man gerade an dieser Heavy Metal-Szene eben auf Themen wie die 80er Jahre und besonders das letzte Jahrzehnt der DDR, Musik, Jugend und Aufwachsen sehr schön eingehen kann. Zudem lässt sich aber auch anhand der Szene das Ganze über die Umbrüche 1989/90 hinaus bis in die Gegenwart sehr gut weiter verfolgen. Somit bildet die Metal-Szene der ehemaligen DDR eine kleine Nische, einen speziellen Fokuspunkt, von dem man aber auch immer wieder auf allgemeine Zusammenhänge kommen kann.

J: Ergänzend zu den ja sehr umfangreichen Ausführungen von Liza kann man sagen, dass wir bei den Wechselausstellungen immer auf der Suche nach Themen wie Jugendkultur oder Aufwachsen in der DDR, aber auch in der Umbruchszeit 89/90sind, sowie nach Themen im Bereich Musik. Im Hauptsitz des Hauses der Geschichte in Bonn finden regelmäßig Ausstellungen zum Thema Musik statt, die immer sehr gut frequentiert werden. Insofern war es in unserem Fall ein Zusammenschnitt aus den Themenbereichen Musik, Aufwachsen/Jugendkultur und eine besonderen Nische. Der „Heavy Metal in der DDR“ hat da perfekt gepasst, und wir sind sehr froh darüber, dass die Ausstellung so lange stehen darf. 

Nachdem feststand, dass eine Ausstellung zum Thema „Heavy Metal in der DDR“ realisiert werden soll, wie habt ihr euch in diese Thematik eingearbeitet. Ihr hattet ja wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt mit Metal-Musik eher weniger bis keine Berührungspunkte, oder? Ich glaube, der Thorsten ist der Metalfan in eurem Team, richtig?

L: Genau. Ja, also das ist schon ganz lustig, denn wir haben hier bei uns im Museum ein paar versteckte Heavy Metal-Fans. Zum Beispiel ist auch unser Direktor ein Metal-Fan. (allgemeine Heiterkeit) Ich persönlich hatte zu dieser Art von Musik erst mal gar keinen Bezug, stehe dem Ganzen aber total neugierig und offen gegenüber. Wir haben uns dem Thema natürlich wissenschaftlich genähert, unter anderem über das intensive Studium von Nikolais Buch [das, weil es sich ja um die ursprünglich Doktorarbeit des Autors handelt, entsprechende empirische Qualität besitzt. Anm. d. Verf.] sowie die Recherche nach weiterem Material in dieser Richtung. Dann haben wir allerdings auch sehr schnell Kontakt zu Leuten aus der Szene aufgenommen. Und das war im Übrigen auch der Knackpunkt, warum wir glauben, dass die Ausstellung so gut geworden ist, da wir wirklich sehr eng mit diesen Menschen zusammengearbeitet haben. Es ging nach der Einarbeitung im Grunde genommen wirklich ganz schnell: Wir haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen angesprochen, Interviews gemacht und Objektanfragen gestartet. 

J: Das ist auch die besondere Eigenschaft dieser Wechselausstellung, dass wir nicht nur mit dem wissenschaftlichen Blick an die Sache herangegangen sind und gesagt haben: „wir schreiben jetzt ÜBER die Szene“. Vielmehr haben wir die Ausstellung zusammen MIT der Szene konzipiert. Das bedeutet zwar nicht, dass die Zeitzeugen jetzt den großen Einfluss auf die Themen hatten, aber wir sind mit der Ausstellung wirklich sehr, sehr nah dran, an den Menschen, den Fans und den Musikschaffenden in der DDR...und das abzubilden, war uns auch enorm wichtig. 

Würdet ihr uns ein wenig darüber erzählen, wie sich das Konzept vom grundsätzlichen Gedanken bis zur fertigen Ausstellung entwickelt hat? Wurde erst alles in der Theorie geplant und danach realisiert? Oder liefen diese Prozesse eher parallel zueinander ab?

L: Zum Prozess, das funktioniert bei uns so: Zuerst gibt es eine einseitige Skizze darüber, wie man sich das Projekt grundsätzlich vorstellt, und dann arbeitet man sich weiter vor. Wir erarbeiten anschließend ein Konzeptpapier, das ist schon etwas ausführlicher. Danach wird tatsächlich die Ausstellung in der Theorie so erarbeitet, wie wir sie uns im besten Fall vorstellen könnten. Wir machen eine grobe Gliederung, suchen uns die Themen heraus, die für uns interessant sind. Und, ganz wichtig, wir überlegen uns gemeinsam mit dem Bildungsteam die Vermittlungsziele, das heißt, was wir mit den einzelnen Kapiteln den Besuchern näher bringen wollen, welche Aspekte wir besonders ansprechen möchten. Und natürlich lebt die Ausstellung von den Objekten, da schauen wir dann, was wir da so zusammenbekommen. Zu manchen Themen war das ganz einfach, da gab es sehr viele Objekte, die die Themeninhalte ganz wunderbar erzählen. Und für manche Themen, besonders im zweiten Teil der Ausstellung, in dem es dann speziell auch um den Verfall der Szene in den 90er Jahren geht, war es natürlich wesentlich schwieriger, mit Objekten die entsprechenden Geschichten zu erzählen, denn wie beschreibt man zum Beispiel anhand von Exponaten Leerstellen oder dass plötzlich soziale Räume wegfallen? Das ist ja viel weniger greifbar als beispielweise Musikkassetten in den 80er Jahren, mit denen erzählt werden kann, wie man da an Musik gekommen ist. 

Die zwei Seiten, einmal: was möchte man gern, und andererseits: was ist möglich, geben dann am Ende den Rahmen der Ausstellung vor. Dazu kommen aber auch ganz praktische Aspekte, wie die räumliche Situation. Johannes vielleicht kannst du da etwas dazu sagen?

J: Gerne. Wie Liza schon sagte, am Anfang steht ein Grobkonzept, dann nähert man sich an und wenn alle ihr OK geben, wird daraus ein Feinkonzept. Das muss natürlich auch wiederum entsprechend abgenickt werden, denn es ist ja auch immer eine finanzielle Frage. Kann man das umsetzen, was man möchte? Bekommt man des Geld bewilligt, das man benötigt? Wenn das alles bestätigt wurde, beginnt man, ein richtiges Drehbuch zu entwickeln. Das ist dann schon äußerst detailliert, mit allen Kapiteln und Vermittlungszielen. Dann kommen die Objekte dazu, denn die machen ein Museum bzw. eine Ausstellung ja auch aus. Man schaut zuerst, was die eigene Sammlung zum Ausstellungsthema hergibt. Denn die Sammlung vom Haus der Geschichte allgemein und die hier in Berlin speziell sind ja unglaublich groß und umfangreich. Aber gerade zum Thema Heavy Metal hatten wir für die 80er zwar ein wenig Material, für die 90er gab es aber ein ganz großes Desiderat [eine Lücke. Anm. d. Verf.]. Deswegen sind wir auch so froh, dass wir durch die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen etliche Objekte akquirieren konnten und dadurch jetzt viel besser aufgestellt sind, z.B. was Schallplatten angeht, Poster, Instrumente oder auch Equipment.

Dann gibt es halt immer noch die finanziellen Gegebenheiten, die einen eventuell etwas einschränken können, und speziell hier bei uns vor Ort auch die Räumlichkeiten. Wir haben zwar zwei wunderschöne Wechselausstellungsräume, aber die sind eben sehr alt, sie stehen unter Denkmalschutz, das heißt, man kann nicht einfach an den baulichen Gegebenheiten etwas ändern, wie Zwischenwände einziehen oder einreißen. Man arbeitet also mit den Sachen, die man hat und das sind eben 180 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Und daraus ergibt sich dann, dass man auch nicht alles erzählen kann, man muss sich in gewisser Hinsicht beschränken. Das ist eine sehr spannende Sache. Das wirst du selbst ja auch live vor Ort sehen, was man etwas üppiger erzählen kann und wo man ein wenig kürzen muss, weil entweder die Objekte nicht mehr hergegeben haben oder schlicht der Platz einfach zur Neige ging.

Gab es trotz der vorher ja quasi bereits komplett fertigen Planung auch während der Vorbereitung noch neuen, teils spontanen Input und zusätzliche Ideen?

J: Ja. Klar. Eigentlich die ganze Zeit über. Kurz noch zur Erklärung, während der Ausstellungsvorbereitung gibt es bei uns zwei große sogenannte Objektrealisierungsbesprechungen (ORB). Bei der ersten ORB werden alle Grafiken und Exponate, die man hat, festgesetzt. Daraus ergibt sich dann, was noch offen ist und daraus wiederum eine entsprechende Aufgabenstellung. Danach kommt dann die zweite ORB. Es gibt dann in der Theorie – nicht für Ideen – aber für Objekte einen Aufnahme-Stop, damit man dann vernünftig planen und die Kapazitäten einschätzen kann.
Aber trotzdem kommt natürlich immer noch neuer Input herein.

Wir hatten, weil wir auf Facebook auf der Suche zu Infos über Metal-Jugendzimmer in der DDR gewesen sind, eigens eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Über die kamen dann immer mal wieder Infos zu uns. Und unter anderem erreichte uns auch eine Mail von Steffen Bohne, einem Metalfan von damals, der er auch bis heute geblieben ist. Und er berichtete uns von einer total spannende Geschichte von einem Metalfan aus der DDR, der 1986 in der BRD im Metal Hammer eine Anzeige inserierte, in der er einen westdeutschen Metalfan für eine Brieffreundschaft suchte, um sich auszutauschen und vielleicht auch Platten zu tauschen usw. Diese Geschichte erreichte uns wirklich erst ziemlich spät im Vorbereitungsprozess zur Ausstellung. Aber da sind wir trotzdem dran geblieben und haben somit ein gutes Gespür für tolle und wichtige Geschichten bewiesen als wir gesagt haben: „diese Story muss noch Bestandteil der Ausstellung werden!“. Die Geschichte ging dann so weiter, dass sich auf die Anzeige von Heiko Posselt tatsächlich jemand gemeldet hatte, nämlich Martin Missy, der Sänger der Band PROTECTOR aus Wolfsburg, einer Thrash Band...die du scheinbar auch kennst. [zustimmendes, schmunzelndes Nicken des Verfassers]. Dieser Briefkontakt verfestigte sich, es entstand eine wunderbare Freundschaft und Martin Missy hat Heiko dann auch mehrere Male im Osten besucht. Der PROTECTOR-Frontmann, der heute in Schweden lebt, berichtete mir dann auch von den Metal-Festen und Besäufnissen in der DDR, die er nie vergessen wird. Das schöne Ende der Geschichte ist, dass PROTECTOR Ende der 80er zwei Platten herausbrachten. Auf der ersten Scheibe wurden Heiko und sein Ostfreundeskreis in der Danksagung namentlich erwähnt. Und im Booklet zur darauffolgenden Platte ist Heiko dann sogar auf einem Foto verewigt worden. Das ist halt so eine schöne Geschichte, die wir einfach nicht ignorieren konnten, auch wenn wir erst sehr spät davon erfahren haben.

Es ist ja schon ein wenig angeklungen, die Ausstellung lebt natürlich vor allem von den Objekten und Erzählungen der Leute, die damals alles selbst miterlebt haben. Wie sind die Kontakte zu den Menschen zustande gekommen, die als Zeitzeugen und Musiker Bestandteil der Ausstellung sind?

L: Wir hatten das große Glück, dass uns Nikolai Okunew als wissenschaftlicher Berater sehr unterstützt hat, und er war sozusagen auch unser erster Zugang zur Szene. Er hatte ja für seine Dissertation bereits selbst Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt und durch seine Kontakte hatten wir bereits eine gute Basis an Ansprechpartnern, die wir dann erneut kontaktiert haben. Aber wir haben natürlich auch selbst recherchiert. Uns war wichtig, eine schöne, bunte Mischung an Leuten zu haben, sowohl Fans als auch Musiker. Und besonders toll war natürlich, dass wir auch Jens Molle, den Moderator der Sendung „Tendenz Hard bis Heavy“ bei Jugendradio DT64 gewinnen konnten, der natürlich noch mal eine neue, ganz eigene Perspektive auf das Thema hat. Und die Kontakte waren super herzlich, die meisten haben sich total darüber gefreut, dass sie von uns angesprochen wurden und sie ihre Geschichten erzählen konnten.  

Und wie war es für euch, im Verlauf der Ausstellungsvorbereitung dann auch livehaftig auf die Zeitzeugen und Musiker zu treffen?

L: Also das war wirklich super! Im Juni des letzten Jahres hatten wir hier zwei Tage, an denen wir vor Ort unsere Video-Drehs gemacht haben. Da hatten wir ganz geballt acht Leute zu Gast. Und die kamen natürlich alle in ihren Bandshirts und in voller Metal-Montur, das hat mich sehr beeindruckt. Denn das war mal ein starker Kontrast zu den Videodrehs mit Zeitzeugen, die sonst im Museum so stattfinden. Man konnte da schon in eine ganz andere Welt eintauchen. Und ich glaube, Johannes, du hattest einige coole Momente bei Leuten zu Hause, während du auf Objektrecherche warst.

J: Richtig. Das ist sozusagen die zweite Ebene. Die erste ist quasi die offizielle Befragung, bei der wir die Zeitzeugen während der Interviews kennengelernt haben. Und die zweite Ebene ist, das wir viele Leihgeber, die uns Objekte zur Verfügung stellen wollten, zu Hause besucht haben, was uns quer durch die Republik geführt hat. Manche Leute wohnen heute in Bayern, manche in Südthüringen. Und ich hatte zum Beispiel eine ganz tolle Begegnung mit Claudia Bamberg. Nach der Kontaktaufnahme war ich bei ihr zu Gast und wurde dort ganz herzlich erstmal mit einem Frühstück empfangen, mit Honig vom Dorfimker und so tolle Sachen. Das sind dann Momente, in denen man merkt, hinter den Geschichten stehen Menschen – ganz tolle Menschen, die glücklich sind, ihre Geschichte(n) erzählen zu können. Es ist ja auch oft so, gerade wenn man mittlerweile um die sechzig ist, dass man dann auch ein wenig seine Jugend rekapitulieren lässt, wie war man damals so, wie sieht man sich heute. Und das sind dann häufig äußerst emotionale Momente. Ganz oft haben wir zum Beispiel gehört: „Ich hätte nicht gedacht, dass sich noch mal jemand für mein altes Zeug interessiert. Bloß gut, dass ich das noch nicht weggeworfen habe“. Und umso größer ist dann die Freude über, sozusagen, eine späte Wertschätzung der eigenen Erinnerungen an die DDR, die in den späten 90ern sehr oft mehr oder weniger gelöscht wurden.  

Und es war ja auch der MDR Kultur-Podcast „Iron East“ von Jan Kubon nicht ganz unschuldig daran, dass ihr auf Leute und Bands aufmerksam geworden seid. Über den Podcast seid ihr ja letzten Endes auch auf mich und die Ostmetal-Patches von PHENOMENA Art & Design aufmerksam geworden.

L: Genau. Der Podcast kam ja parallel zu unserer Ausstellungsvorbereitung heraus und wir merkten schnell, dass es hier viele Parallelen zu uns gibt und wir mit unserem Projekt auf der richtig Spur sind, da das Thema wirklich viele Menschen anspricht und zieht und gerade richtig heiß ist. Und bei der Auseinandersetzung mit dem Podcast sind wir eben unter anderem auch auf dich aufmerksam geworden, mit den Patches, sozusagen im Bereich der Wiederbelebung der Szene. Und ich glaube, auch Sven Rappoldt von der Band METALL haben wir über den Podcast kennengelernt.

J: Und der Podcast ist für uns auch so eine Art Anheizer. Die Szene ist ja gerade wieder so richtig on fire, sehr aktiv und lebendig. Insofern ist das Ganze quasi der Anzünder für das Feuer, das wir jetzt mit der Ausstellung noch mal entfachen wollen. Und es soll ja auch noch einen zweiten Teil von „Iron East“ geben, was super ist, denn so bleibt das Thema auch weiterhin im Gespräch, was sich nur positiv auf die Ausstellung auswirken kann.

Es ist ja wirklich erstaunlich, dass in der heutigen Zeit, also über 40 Jahre später das Thema Ostmetal/Metal in der DDR noch bzw. wieder so populär zu sein scheint. Zumal viele Fans von damals ja mittlerweile zur Generation 60+ gehören.

L: Genau. Wir haben festgestellt, wie wichtig dabei mittlerweile aber auch das Internet geworden ist, mit verschiedenen Foren oder eben auch Facebook und dass die Szene sich sehr stark über die sozialen Medien vernetzt. Was wir dabei total schön finden, die Ausstellung beschäftigt sich ja mit dem Aufwachsen, mit der Jugendkultur. Aber, wie du schon gesagt hast, die Szene von damals ist ja sozusagen mitgealtert. Und da ist es toll zu sehen, dass zum Beispiel eine Zeitzeugin hier zu ihrem Gespräch zusammen mit ihrer Tochter angereist ist. So soll das ja auch sein, dass man mit seinen Kindern hier her kommen kann und sagt: „schau, so war das damals“. Gleichzeitig lassen sich aber auch Verbindungen dazu schaffen, was denn Fan-Sein heute ist und zu sehen, dass viele Dinge einfach auch universell gültig sind, wie seinen Vorbilder nahe sein wollen, oder sich auf eine bestimmte Art zu kleiden, zu einer bestimmten Gruppe dazu gehören wollen.

J: Das ist ja auch die Hoffnung der Ausstellung, dass wir zwar auf der einen Seite die Szene ehren und Leute aus der damaligen Zeit ansprechen, gleichzeitig aber auch die jungen Leute und die Familien in die Ausstellung locken möchten, damit sie sehen können, die DDR war nicht nur schwarz-weiß. Es gab eben auch Subkulturen, die zum Teil auch ihre Schwierigkeiten hatten, aber es gab sie. Ganz oft ist zum Beispiel die Reaktion, wenn ich von der Ausstellung erzähle: „Was?! In der DDR gab es eine Metal-Szene? Das wusste ich gar nicht“. Viele kennen halt die Blueser- und die Punk-Szene, aber nicht die Heavy Metal-Jugendkultur. Wobei dann aber andererseits wieder doch viele Leute, wenn sie mal etwas in sich gehen, feststellen: “Ach na ja, FORMEL 1 kenne ich ja doch. Und ja, von AC/DC habe ich mir damals ja auch die „Highway To Hell“-Platte gekauft“.

Habt ihr spezielle Lieblingsexponate? Stücke, die euch, ob nun z.B. durch ihre Machart oder durch ihre Hintergrundgeschichte besonders am Herzen liegen?

L: Es sind wirklich super viele Highlights dabei, aber ich persönlich mag mit am liebsten zwei eher kleine Exponate, selbstgemachte Objekte aus dem zweiten Teil der Ausstellung von Abo Alsleben aus Leipzig. Und zwar ein Pentagramm und ein umgedrehtes Kreuz an einer Halskette. Mit diesem Schmuck hat Abo quasi optisch gezeigt, dass er sich Anfang der 90er Jahre speziell dem Black Metal sehr zugetan fühlte [Abo war für die Organisation der Tour und des legendären MAYHEM-Gigs 1990 in Leipzig verantwortlich. Anm. d. Verf.]. Lustig dabei ist, dass das umgedrehte Kreuz während der Ausstellungsvorbereitung immer mal wieder richtig herum in der Vitrine landete. Aber keine Sorge, zur Eröffnung wird es natürlich umgedreht zu sehen sein. Diese Objekte zeigen aber auch einen interessanten Aspekt, wie sich die ganze Sache von den 80ern zu den 90er Jahren noch mal entwickelt, wie sich die Szene mehr ausdifferenziert, Subgenres entstehen und alles extremer wird. In der Musik, aber durchaus auch in den politischen Ansichten und Hintergründen. Das war uns auch wichtig zu zeigen, Metal ist immer ein Spiegel seiner Zeit.

J: Carsten Michel von der Band DOCTOR ROCK hat uns ja neben viel Equipment auch seinen wunderschönen, umgebauten Jolana-Bass überlassen. Das ist eine Marke aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Er hatte sich das Instrument damals als normalen Bass gekauft und dann abgeschliffen, das Holz neu gebeizt und das Instrument um einige tolle Details bereichert. So sind zum Beispiel die Knöpfe mit DDR-Pfennigen beklebt. Und ich finde diesen Bass einfach wunderschön. Er atmet regelrecht dieses do-it-yourself, was ja die Szene, sowohl bei den Bands als auch bei den Fans, damals ausmachte.

Und weiterhin fällt mir noch der Gitarrenkoffer von Ralf Klein von MACBETH ein, ein ganz tolles Ausstellungsstück. Ralf hatte den Koffer bekommen, weil er damals keinen eigenen hatte. Er hat ihn noch angepasst und neu ausgepolstert und ist dann damit über zehn Jahre durch die Lande gezuckelt, was man dem Koffer heute auch ansieht, die ganzen Gebrauchsspuren machen das Teil ungemein authentisch. Und auch die Aufschriften erzählen viel über die damalige Zeit und die Band. „Schwermetall aus Thüringen“ steht da auf der einen Seite und auf der anderen sieht man schon das neue Bandlogo CAIMAN, weil die Band sich nach dem Spielverbot ja umbenennen musste. Und dazu diese kleine Aufschrift „Heavy Metal worldwide“, um sozusagen der Stasi bzw. den Oberen der DDR noch mal eins mitzugeben, nach dem Auftrittsverbot, nach dem Motto: „Ihr könnt uns nicht stoppen, Heavy Metal ist ein weltweites Phänomen“. Wirklich ein ganz toller Koffer. Musst du dir unbedingt auch anschauen.

 

Könnt ihr mir ungefähr sagen, wie lange der eigentliche Aufbau der Ausstellung in den Räumen der Kulturbrauerei gedauert hat?

J: Ende Januar wurde die vorherige Wechselausstellung abgebaut. Dann mussten an den Räumlichkeiten einige kleinere Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden. Und mit dem Aufbau dieser Ausstellung wurde dann Anfang Februar begonnen. Da wurden die ersten Stellwände aufgebaut und die Maler kamen vorbei, dann kam die Innenarchitektur von unserer Tischlerei. Man kann sagen, der Aufbau umfasst sechs intensive Wochen.

L: Und das, was gerade parallel passiert, während wir hier sprechen, ist, dass die Objekte jetzt in die fertige Ausstellungsarchitektur eingebracht werden. Dafür benötigt man so sieben Tage und heute ist der letzte, dann sind alle Objekte drin.

Ihr werkelt also noch am Finetuning und dem letzten Schliff?

J: Ja, bis Montag 18.59 Uhr, wird noch gebohrt und geschraubt. (Allgemeine Belustigung) Nein, wir hoffen natürlich, dass bis zum Freitagnachmittag auch alles so weit fertig ist, dass es losgehen kann.

Man kann sich die Ausstellung ja nicht nur ansehen, sondern man bekommt auch einiges zu hören. Die Musik der DDR (auch abseits vom Heavy Metal) unterscheidet sich ja, vor allem, was die Texte betrifft, schon sehr von der aus dem Westen. So durften ausschließlich deutsche Lyrics verwendet werden und die Zensurbehörde hat damals jeden einzelnen Text vor der Freigabe überprüft und zum Teil auch geändert und zusammengestrichen. Insofern war es schon eine Herausforderung für die Texter, quasi durch die Blume, trotzdem Gesellschafts- und Systemkritik an die Hörerschaft zu bringen. Habt ihr euch im Zuge der Ausstellungsvorbereitung auch intensiver mit den Lyrics der einzelnen Bands auseinandergesetzt und hat euch dabei der ein oder andere Song vielleicht besonders beeindruckt?

L: Ja klar haben wir uns auch mit den Songtexten auseinandergesetzt. Wir konnten diesbezüglich aber auch zum großen Teil auf die Vorarbeiten von Nikolai Okunew zugrückgreifen, der sich da sehr intensiv damit beschäftigt hatte. 
Wir haben in der Ausstellung eine Hörstation. Dort kann man sich zum Beispiel von der Band FORMEL 1 von ihrer LP „Live im Stahlwerk“ den Song „Der Edelrocker“ anhören. Und da geht es um einen jungen Mann, der ganz normal seiner Arbeit nachgeht und in seiner Freizeit einfach seine Musik hören will. Und damit eben auch um den Freiheitsgedanken, das zu tun, was man möchte. Das ist jetzt nicht unbedingt Systemkritik aber schon eine Reflektion auf die damalige Gesellschaft. 

Ralf Klein von MACBETH hat uns zu diesem Thema im Interview ja auch spannende Geschichten über die Einstufungskommission erzählt, bei der man vorspielen musste, um die Spielerlaubnis zu erhalten. Und es gab einen Song, bei dem die Band für den Text zuerst extrem gelobt wurde, weil er so gegen den Krieg geschrieben wäre und für Frieden plädieren würde. Und einige Zeit später wurde genau dieser Song im Zuge des Spielverbotes auf einmal extrem kritisch gesehen und man teilte MACBETH mit, der Text sei total kriegstreiberisch und faschistisch.

J: Das spiegelt natürlich auch die reine Willkür der Behörden damals wider. Da waren bei der Einstufung immer wieder auch der Zufall oder das Glück mit im Spiel, ob ein Text jetzt näher beleuchtet wurde oder nicht. Es gab zum Beispiel ein Lied, „Tschernobyl“...ich muss gerade überlegen, wie die Band hieß... [„BABYLON“. Einwurf des Verfassers] Ja, genau. BABYLON. Das war ein sehr kritischer Song, gerade weil das Thema Tschernobyl in der DDR ja eigentlich relativ lange totgeschwiegen wurde. Und trotzdem durfte das Stück veröffentlicht werden und wurde auch im Radio gespielt. Und das ist dann schon irgendwo verwunderlich. Willkür trifft es da ganz gut.

L: Radiomoderator Jens Molle hat uns zu diesem Thema auch noch einige interessante Geschichten erzählt. So musste das Manuskript seiner Sendung ja vor der Ausstrahlung „von oben“ immer abgesegnet werden. Das wurde auch in der Regel gemacht, aber am Ende wurde die Sendung dann gar nicht abgehört, weil zum Beispiel die Zensurbehörden mit der Musik überhaupt nichts anfangen konnten und sich das dann irgendwie auch gar nicht antun wollten. Deswegen und weil der Metal ja auch eher unpolitisch war, stand er nicht so sehr unter Beobachtung, wie beispielsweise der Punk.

Kleiner Themenwechsel. Es wird ja im Verlauf des Ausstellungsjahres immer einmal im Monat einen sogenannten späti!-Termin geben. Könnt ihr unserer Leserschaft mal genauer erklären, was sich dahinter verbirgt und was das Besondere an diesen Abendveranstaltungen ist? 

L: Es handelt sich um ein Veranstaltungsformat, das sich „späti! – Kultur nach Feierabend“ nennt. Es findet, wie du gesagt hast, einmal im Monat an einem Donnerstagabend (ab 18.00 Uhr) statt und man geht zusammen mit einem Begleiter / einer Begleiterin des Museums durch die Wechselausstellung, bekommt dort verschiedene Highlights vorgestellt und es gibt auch ein kostenloses Getränk dazu. Der Gedanke dabei ist, dass man auch in der Gruppe noch mal zusammen und ins Gespräch kommt und dass Leute, die immer tagsüber arbeiten müssen, eben nach Feierabend auch noch in den Genuss der Ausstellung kommen können.  

J: Und das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass wir hier versuchen, jeden zweiten späti! als späti!plus auszurichten und dafür Zeitzeugen und Leihgeber einladen und diese dann bei den Veranstaltungen zu Wort und mit den Gästen ins Gespräch kommen lassen, um damit noch mal ein Plus, also einen Mehrwert für die Besucher zu bieten.

Ich habe auf eurer Homepage gesehen, dass der erste späti!-Termin am 21. März 2024 bereits ausgebucht ist. Es scheint empfehlenswert zu sein, sich frühzeitig für einen dieser Events anzumelden.

L: Ja, wir haben eine wahnsinnig große Nachfrage. Aber es wird über das Jahr verteilt ja eine große Anzahl an späti!-Terminen geben und wir schalten die Anmeldungs-Links auch immer nach und nach frei, so dass möglichst viele Interessierte die Chance bekommen, bei einem Termin mit dabei zu sein.

Die Ausstellungseröffnung rückt ja nun mit großen Schritten immer näher. Seid ihr schon ein wenig aufgeregt? 

J: Ja total. Ich für mich kann sagen, auch nach zehn Jahren ist man immer noch aufgeregt. Und dazu kommt, dass dieses Projekt ja jetzt zum Beispiel nicht einfach einen Fotoausstellung ist, wo man den einen Künstler dabei hat. Hier haben wir ja über das ganze Vorbereitungsjahr so viele tolle Menschen kennengelernt und mit ihnen zusammengearbeitet. Und wenn die dann alle am Montag zur Eröffnung kommen werden, das wird schon noch mal eine andere Sache. Alle wiederzusehen und natürlich ist man auch gespannt, weil ja jeder so seine Erwartungen an die Ausstellung mitbringt und wir ja auch niemanden enttäuschen wollen. Die Hoffnung, dass man die Szene gut getroffen und dargestellt hat und keine groben Schnitzer drin sind, das alles schürt natürlich schon die Aufregung. Und dann kommen auch viele Kollegen von der Stiftung, die sich die Ausstellung anschauen werden, viele Gäste und natürlich auch die Politik. Also wird es für uns ein sehr spannender Tag. Und es kann ja bis zum Schluss auch immer noch etwas schief gehen. Insofern werden wir froh sein, wenn dann um 19.00 Uhr alles steht, alles funktioniert und dass man sich dann vielleicht auch irgendwann etwas zurücklehnen, ein Bierchen genießen und sagen kann: „das haben wir gut gemacht“.

L: Das kann ich genauso unterschreiben.

Zum Schluss interessiert mich natürlich noch, was ihr persönlich für euch selbst aus der eurer Arbeit während der Ausstellungsvorbereitung mitnehmt? 

J: Ich glaube, eine Vielzahl von Sachen. Ich muss mal kurz darüber nachdenken...Auf jeden Fall habe ich wieder festgestellt, wie unglaublich gerne ich nahe an den Menschen Ausstellungen mache, MIT den Menschen. Dass ich keine Ausstellungen nur über tote Objekte machen möchte, sondern wirklich über Exponate, die mit Leben gefüllt sind, wo man Ansprechpartner dazu hat, wo man mit Menschen zusammenarbeiten kann, die Leute auch hören kann. Das finde ich unglaublich wichtig. Ich bin ja selber auch – noch – in  der DDR geboren, geradeso. Ich komme aus Brandenburg und ich sehe ganz viel von meiner Vergangenheit in der Ausstellung. Mein Vater hat ebenfalls Musik gemacht in der DDR, er war Bassist in einer Band, die die Sonderstufe erreicht hatte. Es ist so ein bisschen wie nach Hause kommen. Viele Sachen, die ich von ihm gelernt und gehört habe, sehe ich in der Ausstellung wieder. Es ist wirklich toll, wenn man bei so einem Projekt merkt, dass man da einen richtigen Schatz hat, den man dann zu Tage fördern und eine schöne Ausstellung daraus machen kann. Ich habe ja schon ein paar Projekte realisiert, aber das hier ist wirklich eine besondere, auch besonders emotionale Ausstellung geworden.

L: Da kann ich mich eigentlich nur anschließen. Ich für mich persönlich fand es sehr spannend, dieses Thema zu haben, mit dem man am Anfang erst mal nichts zu tun hatte, aber wenn man sich dann intensiv damit beschäftigt, was für interessante Sachen dann zum Vorschein kommen und was für spannende Geschichten auftauchen. Und wenn man dann die Chance hat, diese Dinge dem Publikum näher zu bringen und die eigene Begeisterung vermitteln zu können, das ist natürlich schon ein tolles Gefühl. Was ich zum Thema Ausstellungsarbeit/Ausstellungen machen für mich mitnehme, ist vor allem, dass wir hier wirklich großes Glück hatten, mit den Möglichkeiten vor Ort, im Vergleich zu beispielsweise kleineren Bezirksmuseen. Da konnten wir schon auf tolle Sachen zurückgreifen, wie die Medienstationen, die wir einsetzen, die Zeitzeugen-Videodrehs und wir sind wirklich sehr dankbar für diese Möglichkeiten, die wir nutzen konnten, um eine gelungene Ausstellung zu gestalten. 

Tolle letzte Worte. Wir haben es geschafft. Dann bleibt mir jetzt nur noch, mich bei euch für dieses tolle, interessante, spannende und wissenswerte Interview zu bedanken und euch für die Ausstellung großen Erfolg und ganz viele Besucher zu wünschen, die hoffentlich nicht nur aus dem Ostmetal-Spektrum kommen, sondern dass auch zahlreiche Gäste dabei sein werden,  die unbefangen und neugierig auf das Thema „Heavy Metal in der DDR“ sind. Und ich persönlich freue mich schon wahnsinnig darauf, alles live zur Eröffnung bestaunen zu können. Wir sehen uns am Montag!

L/J: Da freuen wir uns auch schon drauf. Vielen Dank für die lieben Worte und das tolle Interview.


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Teil 2 - Das Interview mit den Machern


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